Zwischen Pollern und Leerstand
von Carlo Eggeling am 12.04.2025Meine Woche
Lebendig
Lüneburg ist ganz toll, höre ich immer wieder. Wer wollte widersprechen? Heinrich Heine ist lange tot. Der sah eine Residenz der Langeweile. Zwei Jahrhunderte her. Heute kämen Abertausende Touristen, wenn das kein Beleg ist. Den Andrang belegen Zählautomaten an den Einkaufsmeilen. Über nahezu 50 leeren Geschäften. Wenn jetzt noch ein Flaggschiff wie die Roy-Robson-Niederlassung schließt, könnte vielleicht die 24. -- ist es die 29.? -- Bäckerei-Filiale oder noch ein Handyanbieter übernehmen. Lüneburg lobte sich mal als Stadt mit der höchsten Kneipendichte Europas. Wahrscheinlich war das immer Unsinn, aber wenn es mit dem Welterbe nicht geklappt hat, wie wär's mit der höchsten Dichte an Barbershops zwischen Grönland und Gibraltar?
In Hamburg hat das Westfield-Center eröffnet. 170 Läden und Lokale auf rund 94 000 Quadratmeter Fläche, habe ich gelesen. Kreuzfahrer-Terminal daneben. An der Alster geht man davon aus, dass man zwischen Spitalerstraße und Gänsemarkt durchaus einen Magneteffekt in Richtung Überseequartier spüren dürfte. Eine ähnliche Einschätzung trafen neulich auch die beiden Lüneburger Einzelhandelsgesichter Gitte Lansmann fürs Lüneburg Marketing und Heiko Meyer für die Handelsorganisation LCM. Der Reiz des Neuen, klar, der Effekt dürfte wieder nachlassen. Aber merken werden es die Geschäftsleute hier vermutlich schon. Ob Handlungsbedarf besteht?
Die Salzstadt hält zu Ostern ein bisschen dagegen und bietet das Ei zur Würze, eine Aktion der Gelben Leitern, der Mutmach-Aktion aus der bleiernen Corona-Zeit. Das ist gut, Gemeinschaft mit Verlosung rund ums Osterei mitten in Lüneburg, um mal etwas Positives nach außen zu senden.
Ansonsten gibt sich die Stadt viel Mühe, in alle Welt zu rufen, wie anstrengend es hier ist: Parkplätze streichen, Poller, um sich abzuschotten, Bänke für die Trinkerszene am Sand. Das hat einen gewissen Reiz. Wirkt es anziehend? Die wadenstarke Radlerlobby packt die Lastenräder sicher voll mit Klamotten, Büchern, Lebensmitteln. Oder lassen die sich ihren Kram lieber von Amazon und Co ins Hanse-Viertel, Wilschenbruch und Rote Feld liefern?
So am Rand. Poller sollen den Verkehr noch weiter zurückdrängen. Der an der Salzstraße dürfte Wirkung zeigen: Autofahrer knicken dann ab in die Altstadt. Vielleicht kann der Grüne Stadtrat und Wirt des Anno 1900 ein Drive Inn an seine Kneipe angliedern. Na ja, ein bisschen mehr Verkehr macht dem kopfsteinhoppeligen Wohnviertel sicher nichts aus.
Besonders gut gefallen hat mir ein saftiger Zeitungskommentar, nach dem die Stadt an der Ilmenau viel toller ist als Celle. Immerhin war das heutige Landgericht der Witwensitz der Celler Herzogin Elenore D‘Olbreuse. Gut, das war im 17. Jahrhundert. Davon ab, ich höre immer wieder, Celle sei einen Ausflug wert, sogar Winsen und Uelzen kommen in Betracht. Die müssen irgendwas senden, das nicht nach Problem klingt, sondern nach Willkommen. Aber bloß nicht anderswo hinschauen, wo's in Lüneburg so muggelig ist.
Wochenende, da unternimmt man gerne etwas. Im Bardowicker Schützenhaus läuft am Sonntag ein Handwerkermarkt. Am Palmsonntag. Das ist eigentlich ein Frevel. Denn an Palmsonntag darf alles mögliche nicht stattfinden. Wir erinnern uns, Lüneburg sagte deshalb vergangenes Jahr einen verkaufsoffenen Sonntag ab. Die Bardowicker machen etwas anders. Oder sind ein bisschen frecher.
Weil die Woche mal wieder heiter war, muss es der Ausklang auch sein. Der Musiker und Musikmanager Hans Seelenmeyer, der oft zu Konzerten auf seinen Hof in Lemgrabe einlädt, hat einen komischen Krimi, er nennt es eine Fabel, geschrieben: Funky Chicken Blues. Die Hühner rebellieren, der Bio-Bauer dreht durch. Heiter bis tödlich. Neulich hat Hans bei Lünebuch gelesen. Volles Haus bei seinem Erstling. Glückwunsch, und die Geschichte macht Spaß. Gerade an Ostern, wenn ein bisschen Zeit ist.
Wo wir bei tödlich sind. An Ostern ist es ein Kreuz mit dem Tod, da passt Nina Hagen mit ihrer Einschätzung: „Alle wollen in den Himmel, aber keiner hat Bock auf Tod.“ In diesem Sinne, ein lebendiges Wochenende in einer hoffentlich noch lange lebendigen Stadt. Carlo Eggeling
Kommentare
Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.