Zur Lage der Berichterstattung
von Carlo Eggeling am 03.08.2024
Meine Woche
Überlebenswichtig
Bei meinen alten Kollegen der LZ scheint man mittlerweile erkannt zu haben, lokal muss etwas anders werden. Jetzt hat das Medienhaus verkündet, wir tauschen die Führungsmannschaft aus. Das alte Trio weg, die Namen erwähnt die Mitteilung nicht einmal, was den Kollegen Malte Lühr, Anna Paarmann und Katja Hansen gegenüber gelinde gesagt zumindest unhöflich ist. Und auf einen Konflikt schließen lässt.
Den gab es dann gestern Abend nachlesbar bei Facebook. Malte Lühr hatte an Bekannte geschrieben, einer stellte den Kommentar ins Netz: Man habe keine silbernen Löffel geklaut. Es habe Differenzen gegeben, die Geschäftsführung sei unfair, er glaube an die alte Truppe. Auch so ein Auftritt ist nicht sonderlich professionell.
Der neue Chefredakteur, Werner Kolbe, zeigte sich überdies wenig souverän und weitblickend, er hatte dem Fachblatt Kress erklärt, das Trio sei freigestellt worden. Klingt wie ein Tritt. Schlechter Stil. Krisenmanagement scheint nicht die starke Seite der Medienprofis zu sein. Wer auseinandergeht, einigt sich auf eine Verlautbarung.
Das setzt sich fort im Text zur eigenen Lage. Die neue Führungscrew Kolbe, Thomas Mitzlaff, Jan Beckmann und Dominik Heuer bekommt den Platz zugewiesen: Es redet nur Manager Sven Fricke, die für den Inhalt zuständigen Kollegen dürfen kein Wort sagen. Dabei würde es Leser sicher interessieren, wohin eine Chefredaktion steuert, worüber man künftig berichten will. Das wäre ein selbstverständliches Selbstbewusstsein. Vom Alltag in Stadt und Kreis scheint die LZ-Redaktion derzeit oft weit entfernt, wenn es um Kritik am Rathaus ging, herrschte oft der Eindruck: Lieber Jan in der Lünepost lesen statt Kuscheliges in der Tageszeitung.
Wir erleben eine Kehrtwende, der endgültige Abschied der Ära Marc Rath. Der kam 2018 nach einem Vierteljahrhundert Chefredakteur Christoph Steiner mit einem Sack voller Projekte, manche gut, andere teuer, doch sie brachten keine Leser. Als er wieder ging, meinte der damalige Mit-Geschäftsführer Christian von Stern: "Marc Rath wird uns definitiv fehlen, aber er hat uns gelehrt, den Herausforderungen des Wandels mit professioneller Gelassenheit zu begegnen. Wir verdanken ihm eine Weichenstellung, die unser Haus bestens für die digitale Ära wappnet.”
Gelassenheit? Eher Schläfrigkeit. Die „Weichenstellung“, die Raths drei Vertraute umsetzen wollten, führte aufs Abstellgleis. Ergebnis: Die Redaktionsspitze ist weg. Auch die alten Geschäftsführer und Eigentümerfamilien warfen im operativen Bereich das Handtuch, weil sie sich den überlebenswichtigen Wandel wohl nicht zutrauen. Manager Fricke streicht vieles zusammen. Die Mittwochs-Lünepost ist eingestellt, das Magazin Prise gestrichen, Stellen werden abgebaut. Der Drucktermin wurde vorverlegt, um Geld zu sparen — mit der Folge, dass Sportergebnisse zwei Tage später zu finden sind. In Anzeigenabteilung und Verwaltung ist sicher noch einiges mehr zu konzentrieren.
Auf die Redaktionen bei Lünepost, LZ und Winsener Anzeiger dürften einige Veränderungen zukommen. Wahrscheinlich auf längere Sicht mit weniger festangestellten Kollegen. Manager Fricke hat in der Vergangenheit auf Bitten um ein Gespräch übrigens nicht reagiert.
Gucken wir auf die Zahlen. Land auf land ab verlieren die Tageszeitungen an Auflage. In Lüneburg ganz rasant. Von 2021 bis heute macht das Minus beim Verkauf laut Statistik der Werbebranche fast 5000 Exemplare aus, die durchschnittliche Auflage liegt aktuell von Montag bis Freitag bei etwas mehr als 20 000. Hinzufügen muss man, am Wochenende setzt das Haus mehr Zeitungen ab als unter der Woche. Zum Vergleich: Im Landkreis leben rund 180 000 Menschen, in der Stadt rund 77 000.
Die Digitalstrategie geht nur mäßig auf. 2280 Kunden notiert die Statistik zu 1320 in 2021. Das ist zwar eine deutliche Steigerung, macht aber das allgemeine Minus nicht wett. Irgendwie reingerechnet sind noch rund 4700 Freistücke, die also nicht bezahlt werden. Allein binnen eines Jahres weist das Zahlenwerk einen Rückgang beim Verkauf von mehr als acht Prozent aus.
Die Verlage rufen seit längerem nach Subventionen: Die Zustellung müsse durch den Staat gefördert werden. Macht die Regierung nicht. Zu recht. Die Leser sterben aus. Generell. Der Altersschnitt der LZ-Abonnenten liegt bei weit über 70 Jahre, aber man macht mit jungen Redakteuren vermeintlich Zeitung für Mittdreißiger und Jüngere -- Theater vor leeren Rängen. Im Netz zahlt keiner für Facebook und Instagram.
Die LZ kooperiert eng mit Madsack in Hannover, zur Verlagsgruppe gehören zwanzig Tageszeitungen unter anderem anteilig die Kieler Nachrichten, von dort ist Fricke zur LZ gekommen. Überdies liefert Madsack über das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) für rund 60 Zeitungen die überregionale Berichterstattung. Rund ein Viertel der Madsackgruppe gehört einer Beteiligungsgesellschaft der SPD, was für die Berichterstattung aber erkennbar keine Rolle spielt.
Was in Lüneburg passieren könnte, haben mehrere Verlage vorgemacht, auch Madsack -- Print einstellen, nur noch ein digitales Angebot. Die Gewerkschaft verdi schreibt in einem Bericht zur Medienlandschaft im Januar dieses Jahres: "Der Madsack-Konzern betrachtet sein oben erwähntes „Pilotprojekt Online only“ in Brandenburg als Erfolg. Beim „Prignitz-Kurier“ hätten sich von 2.500 Abonnenten etwa 1.500 auf das digitale Angebot eingelassen. Die verbliebenen 1.000 gelten offenbar als verzichtbar, weil neue Digitalabos verkauft wurden und außerdem die Vertriebskosten gesunken sind."
All das ist hochdramatisch. Vor Jahren haben die Leute gewusst, was in ihren Dörfern und Städten wichtig ist -- eingeordnet und erklärt von Journalisten. Klar, da gab es Fehler und Dinge, die einem nicht passten. Das verschwindet. Nun informieren Gemeinden und Bürgermeister, weil die Zeitung nicht mehr gelesen wird und sie Bürger erreichen wollen. Aber welcher Verwaltungschef lässt eine kritische Berichterstattung im eigenen Newsletter zu?
Bleiben wir gespannt, was das Herren-Quartett, Frauen passen — völlig an der Zeit vorbei — offensichtlich nicht mehr in die Führung, zustande bringt. An die Neuen alten Kollegen: Glückwunsch zum Job. Carlo Eggeling
Am Samstagabend hat der Mediendienst Kress eine Ergänzung veröffentlicht. Der Text:
Nachtrag: Mittlerweile gibt es eine einvernehmliche, offizielle Sprachregelung zur Trennung von Medienhaus Lüneburg und der alten Führungscrew. Das ist ihr Wortlaut: "Mit der Übernahme des Winsener Anzeigers rückwirkend zum 1. April hat sich aus Sicht der Geschäftsführung und der Chefredaktion die Chance eröffnet, die Medienhaus-Produkte inhaltlich und strukturell neu auszurichten und gleichzeitig die beteiligten Redaktionen in Lüneburg und Winsen eng miteinander zu verzahnen. In diesem Prozess hat sich gezeigt, dass es zwischen Geschäftsführung und Verlegern einerseits und LZ-Chefredaktion anderseits in wesentlichen Fragen unterschiedliche Auffassungen gibt. Aus diesem Grund haben sich beide Seiten im gegenseitigen Einvernehmen entschieden, den Weg für einen Neustart, auch in personeller Hinsicht, frei zu machen."
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