Wie gut, dass es die Bäckerstraße gibt
von Carlo Eggeling am 15.02.2025Meine Woche
Brennpunkte
Auf der Bäckerstraße ist der Platz knapp. So gelingt, was zumindest in Wahlkampfzeiten eher schwierig scheint: Alle rücken zusammen. Besonders links passiert das mit einer gewissen Zwangsläufigkeit. Platzmangel: SPD, Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht wirken wie eine Einheit. Splitterparteien vereint? Natürlich nicht. Während die Linke einen Boom erlebt, geht es bei Frau Wagenknecht nicht voran. Die SPD. Selbst am Stand juxen sie, dass Olaf besser nicht kommen solle. Während der Kanzler unverdrossen an ein Wunder glaubt, wundern sie sich hier eher. Ein alter Sozi von 87 Jahren hat mir eben gesagt, er und seine Frau machten ihr Kreuzchen bei der SPD, "trotz Olaf, wir hoffen, dass Pistorius danach übernimmt".
Bei der Linken hingegen scheint das Wunder zu leuchten. Zu besichtigen war es am Donnerstagabend in der Gasthausbrauerei Nolte an der Dahlenburger Landstraße. Heidi Rechinnek. Zweihundert Menschen im Saal, 150 vor der Tür, die Kneipe gesteckt voll, Wirtin Hannelore kam kaum nach mit dem Zapfen. Das Publikum ruft "Heidi, Heidi, Heidi!" Anstehen für ein Selfie, Genossin Heidi hält einen Stoß Autogrammkarten parat.
Die meisten hier sind unter 30. Unwillkürlich fragt man sich, wie viele von der Grünen Jugend ins neue Lager gewechselt sind. Wahrscheinlich rotiert die verstorbene Parteimitgründerin und Friedensaktivistin Petra Kelly im Grab, wenn ihr Anton Hofreiter erscheint, der jede Panzerhaubitze persönlich kennen dürfte. Habeck, der abschieben will.
Die Welt bei Nolte ist an diesem Abend so, wie sie besser sein könnte: gegen weitere Aufrüstung, Asylrecht nicht ändern, Zuwanderer willkommen heißen und unterstützen, Robin-Hood-Style: den Reichen nehmen, den Armen geben. Ob gleich einer 'ne Gitarre rausholt, Bob Dylan, Joan Baez und Wolf Biermann anklingen lässt? Comandante Che Guevara:
"Ja, grad die Armen der Erde
Die brauchen mehr als zu fressen
Und das hast du nie vergessen
Daß aus Menschen Menschen werden
Uns bleibt, was gut war und klar war
Daß man bei dir immer durchsah
Und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
Comandante Ché Guevara.
Der rote Stern an der Jacke
Im schwarzen Bart die Zigarre
Jesus Christus mit der Knarre
So führt dein Bild uns zur Attacke."
Ok, das war meine Zeit, Ende der 70er, bisschen her. Heute ist Tiktok. Attacke ist geblieben. Denn da erreicht Heidi Reichinnek Hunderttausende. Als sie im Bundestag Friedrich Merz die Nähe zur AfD in den Tagen des Auschwitz-Gedenkens um die Ohren haute, gab es bei you tube 30 Millionen Klicks.
Deutschland links müsste dem Kanzlerkandidaten trotz des Ekels eigentlich trotzdem Danke sagen. Der Auftritt hat Merz laut Umfragen offenbar keine neuen Wähler beschert, aber es hat die Gegenseite mobilisiert. Natürlich sind sie bei der CDU und FDP keine Faschisten, natürlich beschmiert man keine Büros und Wohnhäuser mit Farbe. Aber protestieren gegen die Haltung gehört in der Demokratie dazu.
Das erleben wir auf der Bäckerstraße. Da steht die Antifa, Opas trinken Kaffee, Omas gegen rechts singen, da zeigen sie der AfD, was sie von ihr halten: nichts. So war es zwischen Sand und Markt übrigens schon vor Jahrzehnten, als es gegen Atomkraft, NPD, DVU und Republikaner ging. Wie gut, dass Lüneburg diese Art von Straßenkampf wieder erlebt, in Jahren, in denen der Stadtrat ansonsten wie sediert wirkt.
Ratssitzung war nämlich am selben Abend. Ich war nur kurz da. Heidi fand ich unterhaltsamer und besser. Skurril ist es im Rat immer. Ein Antrag wurde abgeschmettert. Er sollte mehr Transparenz bringen, mehr Informationen, die Oberbürgermeisterin und Verwaltung im Rat liefern sollten. Davon hielt Claudia Kalisch nichts, mache sie alles schon im Verwaltungsausschuss.
Zur Erinnerung, in ihrem Wahlprogramm wurde eben diese Transparenz nicht nur groß, sondern riesengroß geschrieben. Immer anders, wann man auf dem Thron sitzt. Dass allerdings ein Politiker aufsteht und sagt, alles fein, von dem Antrag halte er nichts, ist besonders. Wie kann man dagegen sein, mehr Informationen zu bekommen, um der Königin und ihrem Anhang besser auf die Finger zu schauen?
Noch eine Farce. So richtig Pech kann man haben, wenn man sich am Ziel wähnt, aber Taktieren, doch nicht so aufgeht. Im Ausschuss gab es ein Ja, weil nicht alle Politiker zugegen waren. Haha, den Sozis haben wir's gezeigt. Im Rat quasi Plattfuss.
Die Radlerlobby und ihre Anhänger im sozialen Brennpunkt Wilschenbruch wollten aus dem Amselweg eine Fahrradstraße machen. Da tobe zu viel Verkehr. Rund 2600 Autofahrten nach Wilschenbruch habe man gezählt, obwohl im Quartier nur 750 Menschen zu Hause sind. Angemessen wären bevölkerungstechnisch etwa 1000 Autofahrten.
Es gilt dort 30 km/h. Sind Sie da je längs geradelt oder spazieren gegangen? Man fühlt sich an die Rushhour auf der A39 erinnert, oder? Ich bin sicher, alle die mit ihrem Zweit- oder Dritt-Hybrid- und E-Volvo aus Wilschenbruch lossurren, schieben die Karre aus Rücksicht für die Anwohner über den Lüneburger Stadtring. So hat halt jeder sein Problem.
Nächsten Samstag noch mal Bäckerstraße. Letzter Tag vor der Bundestagswahl. Diskussionen, Streit, Demokratie. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Carlo Eggeling
Kommentare
am 17.02.2025 um 11:06:56 Uhr
Der Amselweg ist so schmal, dass man als Radfahrer von überholenden Kfz fast gestreift wird. Ein Blick in den Artikel der Landeszeitung (die ihnen doch nicht ganz unbekannt ist) hätte genügt, das zu sehen.
Überholen ist dort wegen der geringen Breite der Straße verboten. Das schert aber fast keinen einzigen Autofahrer.
Dass dieser Weg obendrein ein Schulweg für Grundschüler ist, scheint Sie auch nicht zu interessieren.
Verstehen Sie sich als Autolobby?
am 18.02.2025 um 10:57:38 Uhr
Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt mit viel Abstand, Herr Habisch. Beste Grüße von Radler zu Radler, ca