Wie versteht die Oberbürgermeisterin Demokratie?
von Carlo Eggeling am 01.06.2024
Meine Woche
Gespräche. Gerne
Die Oberbürgermeisterin scheint ein eigentümliches Verhältnis zur Pressefreiheit zu besitzen. "Diese Tonart, diese Verhaltensweisen widersprechen allem, was unsere Stadt auf der Demokratiemeile demonstriert hat, zuallererst Respekt und erst einmal miteinander zu sprechen." Nee, es ging nicht um Halb- und Dreiviertel-Neonazis und ihre absurde Alternative für Deutschland. In der Ratssitzung am Donnerstag stellte sie mit diesem Vergleich Alt-OB Ulrich Mädge als Sprecher des Seniorenbeirats und Journalisten, die über dessen Kritik an den Baustellenplänen am Sand berichten, ins Lager der Demokratiefeinde. Gemeint waren mein Kollege Ulf Stüwe auch ich.
Mädge habe ein Interview gegeben, das mit Halbwahrheiten gespickt gewesen sei, sagte Claudia Kalisch, "inzwischen haben sich Online-Journalisten als seine Verstärker geriert und die Verwaltung der Lüge bezichtigt". Hier höre der "Diskurs auf, hier fängt die Diskreditierung an, das ist respektlos". Nun ist in keinem der Texte das Wort Lüge zu finden, und wie der Seniorenbeirat und nun mehr auch die Gruppe Fuss eV die Baustellenplanungen der Stadt befinden, ist deren Sache. LG heute und Lüneburg aktuell haben darüber berichtet.
Die SPD fragte nach. Ob es verboten sei, die Verwaltung zu kritisieren, welche Kriterien sie anlege; die Informationsquellen im Netz seien wichtig. Was es meine, dass hier der Diskurs aufhöre? Die Antworten der Oberbürgermeisterin blieben vage, sie sagte, ihre Botschaft sei angekommen. Tut mir leid, ich verstehe nicht, was sie konkret meint. Wo legt sie Grenzen fest? Was ist angemessen, was nicht? Was ich ebenfalls nicht verstehe ist, dass die Verwaltung angesichts einer Baustelle, die über Monate andauert, nicht die Medien zu einem Pressegespräch einlädt, um Fragen zu klären.
Wie soll man sich verhalten, wenn die Oberbürgermeisterin mehrmals wiederholt, es wäre gut, miteinander zu reden, bevor man etwas "herausposaunt"? Eben das versäumten die Kritiker, behauptet Frau Kalisch. Was nicht stimmt. Auf Interviewanfragen an die Oberbürgermeisterin und ihre Dezernenten erteilt die Pressestelle in der Regel nicht einmal eine Antwort, jedenfalls gibt es das von der OB so geschätzte Gespräch zumindest mit den Online-Journalisten nicht.
Wer Respekt einfordert, sollte ihn anderen entgegenbringen. Wo war der Respekt, als Claudia Kalisch bei der Eröffnung des Stadtfestes im vergangenen Jahr einen pöbelnden Betrunkenen anging und ihm von offener Bühne zurief, er möge Flaschen sammeln gehen? Wo ist der Respekt beim Umbau des Glockenhofes gewesen, als die Verwaltung vergaß, den Behindertenbeirat einzubinden und eine Rampe aufwendig nachgebessert werden musste, weil Rollstuhlfahrer abzustürzen drohten? Wo war der Respekt bei den Planungen für den Sand, Behinderten- und Seniorenbeirat fühlen sich nicht eingebunden, obwohl Busse den Platz über Monate nicht ansteuern?
Wo ist der Respekt Journalisten gegenüber, wenn sie Kollegen als "Verstärker" des Alt-OB Mädge bezeichnet. Dabei machen wir das, was Journalisten übrigens unter besonderem Schutz des Grundgesetztes Artikel 5 -- die zitierte Demokratiemeile lässt grüßen -- machen: recherchieren und Fragen stellen, auch solche, die dem Rathaus nicht gefallen mögen.
Die Oberbürgermeisterin betont stets, sie müsse sich schützend vor ihre Mitarbeiter stellen, das klingt heldinnenhaft nach "alle Attacken auf mich". Allerdings sagt es eigentlich zweierlei: ein Ablenken davon, dass sie qua Amt die Verantwortung dafür trägt, was schlecht läuft in ihrem Haus und damit die Verantwortung für bessere Abläufe. Daraus ergibt sich der zweite Punkt: Wer vorne steht, sollte führen können: Dazu zählen eine Vision, die Kenntnis von Abläufen in der Verwaltung, die Fähigkeit, Mitarbeiter zu motivieren und zu halten sowie natürlich bei Fehlern für sein Team einzustehen.
Was stattdessen zu hören ist, ist ein großes Klagelied. Sie werde angegriffen. Sie könne nichts für die Umstände wie Flüchtlinge, Ukraine-Krieg, zu wenig Fördermittel und und und. Irgendwas ist immer. Vor Frau Kalisch gab's den Balkan-Krieg, die Flüchtlingskrise von 2014, es gab die Bankenkrise mit wegbrechenden Steuern und und und.
Na und? Niemand zwingt eine Politikerin, Oberbürgermeisterin zu werden. Sie wollte das, obwohl es in ihrer Partei vor der Wahl andere Überlegungen gab. Die Mehrzahl der Wähler hat ihr vertraut, also ist das Amt eine Verpflichtung. Da sie es wollte, sollte frau mit Vorlauf in Amelinghausen sich das überlegt haben, wissen, dass es Gegenwind gibt. Im übrigen ist der Job mit rund 11 000 Euro im Monat für eine Führungskraft vergütet. Von einer Führungskraft mit diesem Gehalt erwartet der Bürger etwas anderes als von einer Sachbearbeiterin.
Zurück zum Gespräch. Gar nicht möglich im Rat. Die Führung im Rathaus nutzt die Geschäftsordnung des Rates: Sie packt Punkte unter Mitteilungen der Verwaltung. Dann sagt die ebenfalls grüne Ratsvorsitzende Jule Grunau eben genau nach der Geschäftsordnung: "Nachfragen gerne, aber eine Aussprache ist nicht vorgesehen." Wie definiert die Verwaltungsspitze nach diesem Schachzug ein Gespräch? Unter dem alten Oberbürgermeister hätten die oppositionellen Grünen unter ihrem damaligen und heutigen Fraktionschef Ulrich Blanck reichlich Radau gemacht. FDP und CDU hingegen schien das Thema jetzt egal.
Wahrscheinlich habe ich wieder alles falsch verstanden. Deshalb nehme ich es positiv. Was uns Claudia Kalisch und ihr Dezernent Markus Moßmann im Rat geboten haben, war eine Einladung zum Gespräch. Deshalb freue ich mich, dass meine nächsten Interviewwünsche an die Oberbürgermeisterin und ihre Führungsmannschaft schnell erfüllt werden. Frau Kalisch, wann kann ich vorbeikommen? Da können wir dann respektvoll miteinander über Artikel 5 des Grundgesetzes, die Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch über viele Fragen zur Stadtentwicklung sprechen. Ich freue mich auf Ihre Antworten und Konzepte. Die Leser und somit die Bürger sicher auch. Für die machen Journalisten ihren Job. Ergibt sich aus dem Grundgesetz. Demokratiemeile.
Kommen wir zu etwas noch Heitererem als der Farce im Rathaus. Wir feiern Stadtfest. Das bedeutet eine lustvolle Zeit für kritische Geister: Die Bratwurst zu teuer, das Bier sowieso, die Bands waren schon mal besser. Es gibt zu wenig Parkplätze. So ist das. Wie gut, dass Ihr alle zu Hause bleibt. Haben die anderen mehr Spaß. Feines Wochenende. Carlo Eggeling
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