Wie der Rat sich in die Ecke stellen lässt
von Carlo Eggeling am 22.03.2025Meine Woche
Unterwerfung
Wo war eigentlich die Ratsvorsitzende während der letzten Ratssitzung? Sonst immer sehr auf die Geschäftsordnung bedacht, schien sie die am Donnerstagabend vergessen zu haben. Es gab keinen Ordnungsruf für die Oberbürgermeisterin, als diese den Souverän der Stadt, die gewählte Bürgervertretung, infrage stellte. Weil Claudia Kalisch eine Berichterstattung bei Lüneburg aktuell zur Stellenbesetzung des Sozialdezernats nicht passte, forderte sie einen angeblichen anonymen Informanten auf, "Denken Sie darüber nach, Ihr Mandat niederzulegen". Der- oder diejenige habe hier nichts verloren "außer der Ehre". Ehre. Wo leben wir? Pickelhaube und Hindenburg oder Deine Mudda?
Die Ratsvorsitzende schwieg. Sie stellte sich nicht schützend vor den Rat und verbat sich so eine Maßregelung, die in der Lüneburger Geschichte ihres gleichen sucht. Geben Sie Ihr Mandat auf – was für eine Anmaßung, die einer Verwaltungschefin nicht zusteht. Kurz gesagt, funktioniert es gemeinhin so, der Rat beschließt und Oberbürgermeisterin und Verwaltung setzen um. Das scheint im Demokratieverständnis Claudia Kalischs nicht zu gelten. Ihre grüne Parteifreundin und Ratsvorsitzende schweigt.
Aber sie ist nicht alleine. Drei Fraktionsvorsitzende geben Erklärungen und letztlich Unterwerfungserklärungen ab. Das sind die, welche die Verwaltung kontrollieren sollen. Nein, im Leben nicht, hätten sie aus einer vertraulichen Runde berichtet. Das dürften sie auch gar nicht. Was allerdings selbstverständlich ist, kann ein selbstbewusster Fraktionschef, der sich seiner Rolle bewusst ist, gar nicht unterschreiben. Wenn er es tut, wirkt er nur devot. Die SPD hat keine Erklärung unterzeichnet, nach eigener Aussage wurde sie allerdings auch nicht gefragt. Liegt das Kalkül, das die Oberbürgermeisterin vermeintlichen Intriganten vorwirft, eher bei ihr?
Verschwiegenheit. Glaubt die Oberbürgermeisterin, Fraktionen werden ohne Transparenz und Mitbestimmung geführt? Einer bestimmt den Kurs? Innerparteiliche Demokratie und Meinungsbildung – eher nicht? Ist das in ihrer grünen Fraktion so?
Wie in der Vergangenheit erklärte die Oberbürgermeisterin die Besetzung einer Stelle zur geheime Kommandosache. Erstaunlich, dass Politiker das mitmachen. Daher muss man auf den Ablauf schauen. In kleinstem Kreis stellt die OB ihre Kandidatin vor. Vergattert alle zum Schweigen. Schon hier werden das Verständnis von Demokratie und Transparenz arg strapaziert. Wenn der Rat darüber befinden soll, wer künftig die größte Abteilung der Stadtverwaltung leiten soll, wäre es selbstverständlich, dass die Fraktionschefs eben ihre Fraktionen ins Bild setzen, um wen es geht und was für eine Vita die Kandidatin mitbringt. Die wurde in dieser so vertraulichen Runde nämlich wohl eher am Rand erzählt, war im Nachgang zu hören.
Tja, wer hat's erzählt? Jedenfalls war das Detail später bekannt. Wie naiv muss man eigentlich sein, wenn man den Grundsatz des politischen Geschäfts nicht kennt, wenn drei Bescheid wissen, wissen nachher viele Bescheid? In der Runde saßen Politiker und Verwaltungsleute. Im Ernst, die schweigen alle? Habe ich in 35 Jahren als Reporter noch nicht erlebt. Es gibt Journalisten –- nicht nur in Berlin und Hannover -- die haben Kontakte und fragen nach. Das ist ihr Job. Machen sie nicht als Nabelschau, sondern für ihre Leser und den Bürger. Deshalb gilt für sie Informantenschutz. Man nennt seine Quelle nicht.
Das kann die Verwaltungschefin ärgern, sie kann mit Konsequenzen drohen. Verhindern kann sie es nicht. Den "Abgrund von Landesverrat", den Frau Kalisch und ihr nur bestimmte Medien informierender Berater da nach großem historischen Vorbild versuchen zu inszenieren, ist ein Popanz. Wer den Namen der Sozialdezernentin bei Google eingibt, erfährt, dass sie in Hamburg Probleme hatte, in Minden ihre Bewerbung zurückzog, weil sie dort die Auseinandersetzungen an der Elbe zunächst nicht erwähnt hatte, das stand im Mindener Tageblatt, das Stadtparlament war nicht amüsiert. Ende der Geschichte. Banal und öffentlich.
Weil in Lüneburg alles ans Licht gezerrt werde, könne es sein, dass Bewerber verschreckt würden, meinen die Oberbürgermeisterin und ihre Getreuen. Aha. Wer als Bewerber in die Endrunde kommt, muss es aushalten, dass sein Name bekannt wird. Das war in Lüneburg über Jahrzehnte so, das ist andernorts gang und gäbe. Wer das schon nicht verkraftet, ist für das Amt nicht geeignet.
„Nur kluge Fürsten können klug beraten werden“, wusste der italienische Staatsmann Niccoló Machiavelli. Der Berater der Oberbürgermeisterin hätte ihr eine Strategie für die Medien empfehlen sollen: Mit der von der Verwaltungschefin ausgewählten Kandidaten abstimmen, wie und wann man an die Öffentlichkeit geht. Dann hält man das Heft des Handelns in der Hand. Was lange im Rathaus selbstverständlich war, gilt wohl nicht mehr.
Es gibt ganz andere Gründe, die für Lüneburger Kalamitäten genannt werden. Eine Verwaltungsspitze, die nicht nur glänzt und Bewerber, die ihren Parteifreunden und auch Kollegen im ganzen Land berichten, dass sie sich aufgrund ihres Parteibuches gar nicht erst bewerben müssten. Klar, ist wieder ein gemeines Gerücht. Wer erzählt nur so etwas und pinkelt gegen den Thron?
Sind wir wieder am Anfang. Wo ist die Ratsvorsitzende, die die Verwaltungschefin in die Schranken weist, wenn sie die Autorität und Bedeutung des Souveräns der Stadt infrage stellt und ein gelinde gesagt autokratisches Verhalten an den Tag legt? Wie kann die Oberbürgermeisterin ihr Amt ausüben, da sie doch im Wahlkampf mit Verweis auf ihre Zeit als Verwaltungschefin in Amelinghausen Bürgerbeteiligung und Transparenz als ihre Leitlinie verkündet hat? Beides wurde allerdings schon da vermisst, erzählen Politiker aus dem Heideort.
Die Ratsvorsitzende ist lang genug dabei, sie hat den als autoritär geltenden Oberbürgermeister Mädge erlebt. Ratsvorsitzende wie ihr Parteifreund Wolf von Nordheim oder die CDU-Frau Christel John hätten dem so ein Verhalten nie durchgehen lassen. Vergessen?
Was folgt? Das was das Ziel der OB und Ihres Medienstrategen ist: Angst und Unsicherheit. Mein Telefon klingelte, ob man sich auf Verschwiegenheit verlassen könne. Selbstverständlich.
Das galt ehemals auch für meine alten Kollegen im inzwischen anders tickenden Medienhaus am Sand, in deren Schreibtischen sich vertrauliche Unterlagen stapelten, die immer wussten, wer was erzählt und denen immer klar war, warum jemand etwas erzählt -- nämlich um sich in ein gutes Licht zu stellen oder irgendwas zu befördern. Deshalb haben wir immer mehrere gehabt, auch innerhalb einer Partei, die wir gefragt haben. Um ein Bild zu zeichnen, für den Leser, den Bürger, für den, der den Rat wählt und der einen Anspruch auf Transparenz besitzt.
Das bleibt. Carlo Eggeling
Kommentare
am 24.03.2025 um 09:17:43 Uhr
Schade das diese Zeiten vorbei sind.
Danke Carlo !! 🤠👌
PS. die LZ habe ich mittlerweile abbestellt. 🙃