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Lüneburg, am Donnerstag den 13.03.2025

Wie aus weniger viel mehr werden soll

von Carlo Eggeling am 30.10.2024


Christian Stasch (l.) und Christian Cordes

Das Datum ist ein festliches, doch es wirkt auch wie ein Signal: Am Reformationstag führt Regionalbischöfin Marianne Gorka Christian Stasch als Leitenden Superintendenten des Kirchenkreises Lüneburg in sein Amt ein. Der Feiertag geht auf Martin Luther zurück, der am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug -- der Anfang der evangelischen Kirche, ein Aufbruch. Nun hat sich der Kirchenkreis bereits vor Jahren auf den Weg gemacht, denn wie landauf landab haben auch die Lüneburger damit zu kämpfen, dass die Zahl der Gemeindemitglieder sinkt.


Doch der Prozess geht weiter. Stasch steht gemeinsam mit Christian Cordes an der Spitze, Cordes beschreibt es plastisch: "Als ich 2010 im damaligen Kirchenkreis Bleckede Superintendent wurde, habe ich gesagt, wir geben keine Kirche auf, jetzt sind wir dabei." 41 Kirchen und Kapellen gebe es zwischen Amelinghausen und Zeetze, "einige stehen auf dem Prüfstand". Exemplarisch zu beobachten ist es auf der Neuhauser Elbseite. Dort zählen sie zehn Kirchen bei gut 1600 Gläubigen, das geht nicht auf. Es werde Bestandskirchen geben -- andere bestehen eben nicht, so "schmerzhaft" das sei.

Das eine ist sozusagen die wirtschaftliche Seite der Kirche, das andere die inhaltliche. Das Führungsduo denkt sie zusammen. Stasch kommt vom Denkzentrum der niedersächsischen Evangelen, aus Loccum. Der 57-Jährige war dort 13 Jahre Studienleiter im Pastoralkolleg, er bringt vielseitige Erfahrungen in der Gemeindearbeit und der Pastorenausbildung mit. Das bedeutet neue Ideen, um Gemeinden und Nachwuchs anzusprechen.

Die beiden Geistlichen beschreiben die Gegenpole, mit denen Kirche lebt: Auf der einen Seite Ältere, die einfach gesagt an klassischen Gottesdiensten festhalten wollen, am liebsten zur gewohnten Zeit in möglichst jedem Gotteshaus, auf der anderen Seite die, die zum Ausgeschlafenen-Gottesdienst um elf kommen möchten, mit anderen Liedern als sie etwa Paul Gerhardt im 17. Jahrhundert fürs Gesangbuch schrieb. Wie es unter anderem anders gehen kann, habe die Corona-Zeit gelehrt: Open-Air-Gottesdienste gefielen allen "Zielgruppen". Das klingt nach Konflikt. Stasch ist das bewusst: "Es wird nicht allen gefallen, das müssen wir aushalten."


Doch die beiden "Chefs" sind sich einig, auf das Verbindende zu setzen: Das christliche Menschenbild bedeute, sich für andere zu engagieren und da zu sein. Daraus folgt, dass es beispielsweise zwei Gottesdienste in Nachbarorten geben könne, aber eben dazu Treffen und Feste für alle.

Den Lernprozess macht die Region durch, nachdem die Kirchenkreise Lüneburg und Bleckede 2017 fusionierten, damals bestanden 31 Gemeinden, nun sind es 26. Die heute 68 000 Menschen, die sich im Landkreis zur evangelischen Landeskirche bekennen, auch wenn die meisten schweigende und Kirchsteuern zahlende Mitglieder sind, haben erlebt, wie Gemeinden sich zusammenschließen, es darüber hinaus "Zukunftsgemeinschaften" gibt.


Sie rücken zusammen, entwickeln Anliegen neu. Praktisch spart es Geld in der Verwaltung und Ressourcen: Pfarrsekretariate sind für mehrere Gemeinden zuständig. Gemeinsame Gottesdienste in einer Kirche, das senkt im Winter Heizkosten. Personal kann effektiver eingesetzt werden. Ideell bedeute eine engere Gemeinschaft mehr Nähe. All das funktioniere nur, wenn Haupt- und Ehrenamtliche eingebunden werden, bilanziert Cordes seine Erfahrung. "Das Tempo darf nicht zu schnell sein."


Was auf die Region zukommen dürfte, ist andernorts bereits zu besichtigen: Kirchen schließen, Kirchen verkaufen. Cordes nennt das Beispiel Belgien. Wenn dort ein Gotteshaus nicht mehr unterhalten werden könne, werde es abgerissen. Doch es gebe Alternativen. Denkbar sei, leerstehende Andachtsorte zu Treffpunkten zu machen für Kultur und Gemeinschaftsaktivitäten in den Dörfern.


Eine andere Frage stellt sich: Kirchen beherbergen Kunstschätze, sind selber Kunstschätze. Will man die verfallen lassen? Wie geht Gesellschaft damit um? Gefragt sind Entscheidungen. Eine geschichtsträchtige Orgel etwa in Michaelis oder Johannis werde man erhalten, doch was ist mit einer von weniger historischem Wert? Restaurieren oder tut's ein Keyboard?

Wo liegen Grenzen? Natürlich wolle man angesichts des Klimawandels Gebäude energetisch sanieren. Doch Stasch sagt: "Wenn wir das komplett machen, haben wir kein Geld mehr fürs Personal. Darum müssen wir uns reduzieren." Ein Stichwort. Denn Mitarbeiter findet das Unternehmen Kirche schwieriger als vor Jahren. Es lassen sich weniger Pastoren ausbilden. Eine Folge beschreibt Cordes: "In Reppenstedt bekommen wir die Pfarrstelle seit fast einem Jahr nicht besetzt. Und die ist eigentlich hoch attraktiv."    

Die Entwicklung empfinden die Pastoren als dramatisch, aber eben als Herausforderung in einem Land, in dem sich inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr zu den beiden großen christlichen Konfessionen bekennt. Es stellt sich die Frage der Bedeutung. Der Kirche komme die Rolle einer moralischen Instanz zu, die ergibt sich schon aus der abendländischen Tradition. Doch die Macht, die sie einst hatte, besitzt sie nicht mehr, will sie auch nicht mehr. Das ist beiden klar: "Wenn wir die moralische Machtkarte spielen, gehen Leute in Abwehr." Also müsse man sehen, wann es sich lohne und angemessen sei.

Um Werte geht es in einer anderen Frage, es gebe heftige, und beleidigende anonyme Kritik daran, dass gleichgeschlechtliche Pastorenpaare im Pfarrhaus leben. Das sei vor 20 Jahren undenkbar gewesen, doch in einer sich wandelnden Gesellschaft erlebe die Kirche neue Realitäten, sagt Cordes. Er führt eine Trauung an und nennt einen Kollegen, der skeptisch auf die lesbische Verbindung geblickt habe. Der habe dann erlebt, wie die beiden Frauen sich mit religiösen Themen beschäftigt hätten und sei beeindruckt gewesen: "Er hat seine Meinung geändert."

Stasch, der seit ein paar Tagen gemeinsam mit Cordes Land- und Kirchenkreis kennenlernt und sich bekannt macht, ist also mittendrin in einer Veränderung. "Darauf freue ich mich", sagt er. Lüneburg gefalle ihm bestens. Er zieht zunächst allein in die Salzstadt, seine Frau komme nächstes Jahr nach, die vier Kinder seien aus dem Haus.

Den Wandel erlebt der Superintendent passenderweise direkt. Anders als seine Vorgängerin Christine Schmid, der er nach einem Jahr folgt, kann er nicht ins Pfarrhaus neben der Johanniskirche ziehen. Das Gebäude müsste dringend saniert werden, dafür fehle das Geld. So wohnt er anderswo in der Stadt. Carlo Eggeling

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Der Einführungsgottesdienst beginnt am Donnerstag, 31. Oktober, um 11 Uhr in der Johanniskirche. Musikalisch gestaltet wird der Gottesdienst von einem Vokalensemble der St. Michaeliskirche unter Leitung von Kirchenkreiskantor Henning Voß und Kirchenmusikdirektor Dr. Ulf Wellner. Im Anschluss ist bei einem kleinen Empfang Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Veranstaltung ist öffentlich, Gäste sind herzlich willkommen.

© Fotos: ca


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