Wer will das schon
von Carlo Eggeling am 29.03.2025Meine Woche
Bürger. Sicherheitsrisiko
Der Bürger ist ein Sicherheitsrisiko an sich, also wenn man ihn fragt. Da kommt die Mehrheit der Nachbarn an der Hindenburgstraße bei einer Befragung erwartbar glatt zu dem Urteil, dass sie mit dem Straßennamen weiter leben möchte, aller historischen Bedenken zum Trotz. Wer mag schon gern Rennereien, um seinen Pass zu ändern, zig Leuten mitzuteilen, dass er nun eine neue Adresse besitzt? Der Anteil der Masochisten in der Bevölkerung ist zumindest in dieser Hinsicht überschaubar.
Nun wissen Grüne, SPD und Linke im Rat aber, Hindenburg geht gar nicht mehr, weil er Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannte und das Ermächtigungsgesetz unterzeichnete, also der Nazi-Diktatur formal den Anstrich gab. Allerdings kann man Zweifel an den Worten einer Ratspolitikerin hegen, dass er "rassistisch" war und letztlich den Konzentrationslagern und millionenfachem Mord an Juden den Weg ebnete. Er starb 1934, weit bevor das systematische Verfolgen begann. Aber egal, die Straße soll nun nach historischem Vorbild Gartenstraße heißen.
Lustig bis dramatisch sind Rechenarten, nach denen knapp 60 Prozent Nein, gar keins sind, weil die Wahlbeteiligung nicht bei 100 Prozent lag und somit nicht alle ihre Meinung geäußert haben. Ok, dann könnten wir den Stadtrat in seiner Zusammensetzung ebenso infrage stellen wie den Bundestag, es gehen nie alle zur Wahl. Mir fällt dazu der Dichter und Theatermann Bert Brecht ein, der der diktatorischen DDR-Führung nach dem Aufstand am 17. Juni 1953 entgegenhielt: “Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”
Lustig, dass sich so viele Bürger auf allen Kanälen verklappst vorkommen, weil sie der Weisheit der sinnfreien Befragung nicht folgen können. Bürger fragen, nur wenige geben Antwort.
Lustig an diesem unglaublich starken Auftritt für das Gute, dass dieser Rat vor zwei Jahren zurückzuckte, als es darum ging, ein Stückchen Weg in Düvelsbrook umzubenennen, um an Hermann Reinmuth zu erinnern, einen Lüneburger Beamten, der keinen Eid auf Hitler leisten wollte und im Lager landete. Da waren acht Anwohner dagegen. Bürgerwille. Wenn's passt. Wer Entscheidungen treffen will, auch unangenehme, für die es gute Gründe gibt, der muss sie dann eben treffen und kein "Volkstheater" aufführen. Der Rat hat das Recht dazu.
Eingeladen war ich beim überparteilichen Dom-Stammtisch der Hamburger Schausteller. Wirtschaftssenator Andreas Dressel von der SPD saß dabei, dazu der Fraktionschef der CDU in der Bürgerschaft, Dennis Thering, dazu Abgeordnete, Verwaltungsleute. Es ging um Sicherheit. An den Eingängen des Doms stehen Sicherheitsleute, Zufahrten sind abgeriegelt. Das Risiko, dass ein mordlustiger Irrer zuschlägt, ist nach vielen Attentaten hoch.
Doch wer bezahlt das? Eben diese Frage müsste sich auch Lüneburg angesichts der Volksfeste stellen. Die Schausteller sagen, wenn ihre Lasten noch stärker steigen, müssten sie die Preise erhöhen, das treffe die Besucher, es mache die Märkte unattraktiv. Ihre Argumentation: Es sind öffentliche Feste und entsprechend müsste der Staat einstehen. Zumindest eine Lösung im Sinne der Standbetreiber wolle man finden, waren sich die Vertreter von SPD und CDU auf dem Heiligengeistfeld einig. Der CDU-Chef sprach gar von einer rot-schwarzen Koalition in dieser Frage. Die Sozis werden an der Elbe mit den Grünen weiter regieren.
Interessant war, wie einig sich die Politiker waren. Volksfeste wie beispielsweise Dom, Weihnachtsmärkte, Alstervergnügen und Hafengeburtstag als Wirtschaftsfaktor zu betrachten, die dazugehören, damit Besucher in die Stadt kommen und Geld ausgeben. Gäste, die in Hotels übernachten, Musicals und Ausstellungen besuchen, in Geschäften einkaufen gehen. Offenbar hat Hamburg viel besser verstanden, dass Wirtschaft, Kultur und Tourismus gemeinsam agieren sollten, damit alle profitieren.
In Lüneburg steht es an, dass Standgebühren für Märkte und Feste kräftig steigen sollen. Natürlich klagen die, die zahlen sollen. Aber die Luft sollte die Stadt den ambulanten Geschäftsleuten nicht abschnüren.
Die Klage, das Bier beim Stadtfest sei viel zu teuer, sollte nicht allein an die "Bier- und Bratwurst-Harrys" gehen, sondern auch an die Stadt. Hohe Gebühren müssen erwirtschaftet werden. Und zum Klagelied: Das Programm auf den Festen kostet die Besucher nichts, da kann das Bier nicht so günstig sein, wie im Kleingarten.
Weil das Leben bei so vielen Fragen so verdammt schwierig scheint, bleibt Optimismus meines Lieblingsdichters Oscar Wilde: "Am Ende wird alles gut – und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende." Also zupackend bleiben, Carlo Eggeling
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