Lüneburg, am Freitag den 25.04.2025

Weltoffen schon im Mittelalter — Lüneburger Geschichte

von Carlo Eggeling am 21.01.2024


Es ist eine der vornehmsten Adressen Lüneburgs, seit Jahrhunderten; oben am Sand, wo Grapengießer- und Ritterstraße zusammenlaufen. Dass hier der Reichtum zu Hause war, liegt nahe. Ebenso nahe liegt für Forscher, die mit Schaufeln, Spachteln und Bürsten in die Tiefe der Geschichte gehen, dass sie hier prominente Funde machen. Stadtarchäologe Tobias Schoo und seine Kollegen finden gerade weitere Belege dafür, wie Lüneburg einst zusammenwuchs und vor allem, dass die reiche Salzstadt regen Handel trieb.

Die Wissenschaftler gehen an einem besonderen Ort besonders in die Tiefe. Die Industrie- und Handelskammer will ihr Haus um- und ausbauen. Da der Keller dafür zur Baugrube wird, dürfen Archäologen zuvor auf Spurensuche gehen. Das ist aufwendig, denn sie dürfen die Standfestigkeit des Gebäudekomplexes nicht gefährden. In 1,25 mal 1,25 Meter großen Quadraten durchstöbern sie den Boden unter dem Keller. Wie ein Schachbrett, 13 Gruben haben sie bislang ausgehoben.

Vor allem in einem überraschend entdeckten Brunnen aus Feldsteinen, sonst sind sie zumeist aus Ziegeln gemauert, entdecken sie Hinterlassenschaften der Ahnen. Die haben in Hinterhöfen Wasserstellen und Kloaken angelegt, die über die Jahrzehnte mit Abfall verfüllt wurden. Die Höfe wurden später überbaut.

Es war damit zu rechnen: Die Forscher um Grabungsleiter Dr. Frank Andraschko legten Scherben Siegburger Steinzeugs frei. Denn die Keramik der Töpfer vom Rhein war zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert in Europa so gefragt wie heute ein edles Service von Villeroy & Boch. Glas, eventuell aus Böhmen oder Venedig, liegt ebenso auf einem Tisch wie Überreste einer mit einer Bleiglasur überzogene Figur, die wahrscheinlich einmal als Zier das Haus schmückte. Ähnlich dem stilisierten Bäcker, der hoch über der Bäckerstraße wacht -- der Streiter soll einst feindliche Soldaten des Herzogs erschlagen haben. Zeichen für Wohlstand und Handel.

Im ehemaligen Brunnen, von dem aufgrund der Quadratsuche erst ein Viertel freigelegt ist, wollen die Archäologen gern noch tiefer als 1,80 Meter gehen. "Was wir jetzt gefunden haben, ist bis ins 14. Jahrhundert zu datieren", sagt Schoo. Die Zeitreise dauert an: "Es können noch frühere Jahrhunderte zu finden sein."

Das ist mehr als wahrscheinlich: In der ältesten Originalurkunde des Stadtarchivs von 1229 sei der Sand erwähnt, notiert Stadtchronist Wilhelm Reinecke. Dazu die Position: Die Grapengießer-Straße war eine 1-A-Lage, die Heiligengeiststraße, die bis ins frühe 13. Jahrhundert Wollweberstraße hieß, war "der wichtige Straßenzug, die die Sülze mit dem verkehrsreichsten Platze der Stadt unmittelbar verbindet". (Reinecke). Also die Saline, die Lüneburgs weißes Gold förderte.

Die Grabung im IHK-Gebäude reiht sich ein in Funde, die Schoos Vorgänger Edgar Ring beziehungsweise Schoo selber vor einem Dreivierteljahr an der Ritterstraße machte: Vor dem Bau der Baltischen Abteilung des Ostpreußischen Landesmuseums hatten die Forscher unter anderem Bodenspuren entdeckt, die wohl bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen -- Abdrücke von Rädern, die Handelswege dokumentieren. All das sei auch deshalb wichtig, weil es aus diesen Zeit des Mittelalters nur wenige schriftliche Aufzeichnungen gebe. Geschichtsschreibung mit Schaufel und Kelle.

Der Dreiklang der Historie Mons, Pons, Fons -- Berg, Brücke und Quelle --, also die Burg auf dem Berg, die Brücke an der Ilmenau mit der Siedlung Modestorpe und die Saline, verbindet sich am IHK-Haus. Zu diesen drei Siedlungskernen Lüneburgs kommt noch das Hafenviertel dazu. Dort verschifften die alten Lüneburger ihr Salz über Ilmenau, Elbe und Stecknitzfahrt, einen zwischen 1392 und 1398 gebauten Kanal, nach Lübeck.

Verbunden waren die Städte über die Wirtschaftsgemeinschaft der Hanse. Lüneburg verkaufte sein Salz in den Ostseeraum über Lübeck, es gab familiäre Verbindungen. Noch heute stehen die Lüneburger Speicher direkt am Holstentor. Welche Rolle die Stadt an der Ilmenau in dem Handelsbund spielte, erkennt man auch daran, dass sie zwischen 1412 und 1619 insgesamt 23 Hansetage abgehalten haben soll. Da ging es um wirtschaftspolitische Fragen.

Ein zeitgenössischer Spruch spiegelt die Beziehungen der hansischen Städte.

Lübeck ein Kaufhaus,
Köln ein Weinhaus,
Braunschweig ein Zeughaus,
Danzig ein Kornhaus,
Hamburg ein Brauhaus,
Magdeburg ein Backhaus,
Rostock ein Malzhaus,
Lüneburg ein Salzhaus,
Stettin ein Fischhaus,
Halberstadt ein Frauenhaus,
Riga ein Hanf- und Butterhaus,
Reval ein Wachs- und Flachshaus,
Krakau ein Kupferhaus,
Wisby ein Pech- und Teerhaus.

Tobias Schoo und Wiebke Liedtke, die im Sand unter der IHK Geschichte sucht, zeigen einen Donnerkeil. Überreste eines versteinerten Tintenfischs. "Das war vielleicht ein Talisman", mutmaßen die Archäologen. Donnerkeil, weil Menschen einst glaubten, die Versteinerungen könnten in die Erde gefahrene Blitze sein. Schoo scherzt: Wenn die Wissenschaft nicht mehr weiter wisse, vermute sie gern etwas Kultisches. Das bleibt vage. Aber vieles hier ist sehr konkret.

Dankbar ist der Stadtarchäologe der IHK, die die Arbeit unterstütze und positiv begleite. Die Wissenschaftler wollen bis Ende Februar im Keller graben. Abwarten, welche Geschichte und Geschichten sie noch ausbuddeln. Carlo Eggeling


Die Bilder (ca) zeigen Tobias Schoo mit einem Krug aus Siegburger Steinzeug und in einer der Grabungsschächte.
Wiebke Liedtke deutet auf schwarze Verfärbungen im Erdreich, mutmaßlich Spuren eines Brandes.
Eine Scherbe gehörte zu einer gebrannten glasierten Figur. Ein kleiner Stempelabdruck ist zu sehen -- nicht als Signatur des Künstlers, sondern als Schmuck.
Auf der Hand liegt ein Donnerkeil, eine Versteinerung.
IHK-Chef Michael Zeinert.
Ein Blick auf die Lüneburger Speicher in Lübeck.

© Fotos: ca


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