Lüneburg, am Montag den 28.04.2025

Von Reden und reden

von Carlo Eggeling am 26.04.2025


Meine Woche
Kompetent. Inkompetent

Neulich habe ich eine schöne Geschichte aus der Wissenschaft aus dem Jahr 1995 entdeckt. Sie dreht sich um McArthur Wheeler. Der 44-Jährige hatte gelesen, dass man Zitronensaft als unsichtbare Tinte benutzen könne. Sein Schluss: Ich reibe mir mein Gesicht mit Zitronensaft ein und bin unsichtbar. Banküberfall in Pittsburgh. Keine Stunde später saß Wheeler in der Zelle.

Die Forscher David Dunning und Justin Kruger von der Cornell Universität fanden die Geschichte beispielhaft. Ihr Schluss: "Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. Wir sind nicht so gut darin, zu wissen, was wir nicht wissen." Die Form von Selbstüberschätzung finden wir oft in der Politik. In Berlin bei Friedrich Merz, der meint, keine Schulden machen ist irgendwie dasselbe wie Hey, jetzt schaufeln wir die Kohle mal richtig raus. Wahrscheinlich unverständlich, dass seine Partei und Wähler einen gewissen Widerspruch wahrnehmen.

Auch im Lokalen können wir manche sehr individuelle Wahrnehmung finden. Nach einem Frühlingstreffen der Grünen lesen wir auf der Facebook-Seite der Partei eine Sentenz der Oberbürgermeisterin: "Claudia Kalisch verdeutlichte im Hinblick auf Konflikte in der Stadt, dass ein Austausch für Lösungen so wichtig ist: 'Denn Reden hilft, ich werde darin nicht nachlassen.'“


Die Frage ist, mit wem und wie. Bei der Besetzung von Spitzenposten in der Verwaltung will sie offenbar nicht mit Politikern reden, die über die Einstellung befinden und ein Recht haben, informiert zu werden. Wenn es um Fragen von Journalisten geht, finden augenscheinlich nur wenige Audienz am Thron und wenn sie eine Bürgersprechstunde anbietet, muss sich der Bürger anmelden, bevor er vorgelassen wird.

Ansonsten wird viel geredet, das stimmt. Ganze Auftritte in blond filmt die Pressestelle mit Gerede. Schön ist ja, dass einige in dieser Stadt reden, um zu handeln. Antje Stoffregen ist eine von ihnen. Die Diakonin ist treibende Kraft hinter dem inhaltlichen und räumlichen Umbau der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Neu Hagen. 120 Ehrenamtliche geben Sprachunterricht für Zuwanderer, bei der Kindertafel finden Jungen und Mädchen einen Mittagstisch und schulische Unterstützung. Beeindruckend. Die Kirche baut dafür komplett um, am Ende sollen Einnahmen aus der Immobilie die Arbeit mit ermöglichen. Neben Fördermitteln machen Spenden die Umgestaltung finanzierbar.

Ein anderes Beispiel für Bürgerengagement ist die Lüneburger Tafel um Konstanze Dahlkötter, die von Spenden und Dutzenden Ehrenamtlichen getragen wird, Lebensmittel sammelt und an rund 800 Familien verteilt.

Dann die SVG, die von Erfolg zu Erfolg eilt und gute Chancen besitzt, die Meisterschaft im Volleyball an die Ilmenau zu holen. Auch sie getragen von Sponsoren aus der Region, Ehrenamtlichen und einem besonnenen Team um Andreas Bahlburg, das weiß, wie man wirtschaftet und Begeisterung bei Spielern, Unterstützern und Fans entfacht. Ja, die reden nicht um des Redens willen. Die handeln. Drei Leuchttürme, die weit ins Lüneburger Land leuchten.

Inzwischen ist zu hören, dass manche gar nicht mit der Oberbürgermeisterin reden wollen. Weil sie auf Anfragen keine Antworten erhalten und/oder weil sie verstanden haben, dass Reden eben nicht Handeln bedeutet. Wäre angesichts fünfzig leerer Geschäfte wichtig für den Handel.

Anderes Thema sind die, die über die Stadt berichten sollen. Im Medienhaus am Sand soll es künftig in der Chefredaktion eine Doppelspitze geben. Das ist in der Fachpresse nachzulesen und heute im Blatt. Es kommt jemand, der Erfahrungen beim Redaktionsnetzwerk Deutschland gesammelt hat. RND versorgt mehr als 60 Tageszeitungen in Deutschland mit überregionalen Nachrichten und ist Teil der Madsack-Gruppe. Es scheint, als ob man sich am Sand noch stärker als schon heute an den Hannoveraner orientieren möchte. Um bei Hofe zu bleiben, übernehmen die irgendwann das Zepter?

Wochenende, Zeit für gute Laune und für ein kleines Glück. Christian Morgenstern zeigt uns, wie schnell wir es genießen müssen:

Glück ist wie Blütenduft,
der dir vorüber fliegt ...
Du ahnest dunkel Ungeheures,
dem keine Worte dienen -
schließest die Augen,
wirfst das Haupt zurück -
und, ach!
vorüber ist's.

Gute Zeit, viel Glück. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


Kommentare Kommentare

Kommentar von W. Kemp
am 26.04.2025 um 14:33:59 Uhr
Ohne Grünen-Keile geht wohl gar nix mehr, Herr Eggeling? Gibt es innnerhalb (und außerhalb) der anderen Ratsparteien etwa keine Quasselspezialisten mit selbstverliehenem Bescheidwisserdiplom und entsprechend großem Sendungsbewusstein? Bauseneick, Bugenhagen, Gerlach, Grimm, Neumann, Nowak, Schröder-Ehlers, Soldan? Nicht zu vergessen Ab- und Ex-Kanzler Mädge! Sind das alles sachkundige Wahrheitsliebhaber? Auch unter Lüneburgs Journalisten und Ex-Journalisten gibt es übrigens den einen oder anderen Großsprecher, der mit meist überwiegend Ungedecktem hausieren geht. Aber: Selbstkritik? Mal an die eigene Nase fassen? Nie gehört von! --- Ja, ja, wir haben keine Ahnung, aber davon jede Menge. Ausgeglichen wird das mit ernsten Mienen, fester Stimme und - eben - mit viel Geschwätz, das kaum modifiziert Woche für Woche wiederholt wird. Die "polit-kommunikative Befähigung", die Sie hier beschreiben und zeigen, gab der vor zehn Jahren verstorbene Herr Odo Marquard aus Stolp in Hinterpommern schon vor 52 Jahren den schönen Namen "Inkompetenzkompensationskompetenz".
Antwort von Lüneburg Aktuell
am 26.04.2025 um 15:38:17 Uhr
Schön, dass Sie‘s lesen.
Grüße, ca
Kommentar von Kemp
am 26.04.2025 um 17:28:57 Uhr
Man sollte nie einen Satz beenden, ohne sich an den Beginn zu erinnern. "Nennen" ist ein transitives Verb, "geben" verlangt Dativ u n d Akkusativ. Also hätte mein letzter Satz beginnen müssen: "Der 'polit-kommunikativen Befähigung', die Sie hier ..."


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