Unverpackt packt ein
von Carlo Eggeling am 13.03.2023Unverpackt packt ein
Der Laden, der Kartons und Folien überflüssig machen wollte, schließt
Wer im Supermarkt einkaufen geht, kommt mit einer Menge Kartons, Folien, Plastikflaschen, Tetrapaks nach Hause. Lisa Michaelis und Merle Steinbrenner wollten eine Alternative bieten. Im Oktober 2020 eröffneten sie ihren Laden Neuer Speicher -- unverpackt. Doch zweieinhalb Jahre später packen sie wieder ein: Es rechnet sich nicht.
Sie starteten mit rund 500 Produkten, zeitweilig erhöhten sie auf doppelt so viele. Es gibt vegane Butter ohne Palmöl 100 Gramm für 98 Cent, Gerste entspelzt, rote Linsen, Weinstein-Backpulver. Aber auch festes Duschgel, WC-Reiniger, Raps- und Bratöl. Alles vegan und mit einem aus ökologischer Sicht unbedenklichen Hintergrund. "Wir fühlen uns dem Tierwohl verpflichtet", sagt Lisa Michaelis. Und noch mehr: "Wir wollten etwas Konkretes machen, ein Angebot, dass es möglich ist, anders zu leben." Nicht nur reden, handeln.
Das funktionierte einige Zeit auch ganz gut: "Es ging bergauf, wir hofften, dass es sich verstetigt." Dann kam der Einbruch: "Beim Umsatz ein Minus von rund 30 Prozent. Die Ursachen sieht die ehemaligen Krankenschwester in einer allgemeinen Entwicklung: "Der Krieg, steigende Preise, da sparen die Leute." Bewusstes Leben muss man sich leisten können.
Dabei ist das kleine Geschäft an der Lünertorstraße an diesem Sonnabendvormittag gut gefüllt. Junge und ältere Leute packen zwischen den Ikea-Regalen ihre Dosen und Flaschen aus, schaufeln Haferflocken in Tupperboxen, lassen packen Seifenstücke in Beutel, lassen Öl in eine Buddel fließen. "Trotzdem haben wir am Ende weniger in der Kasse", sagt Lisa Michaelis. Die Fixkosten seien zu hoch, Kredite, Miete, Software für die Kasse. Es war geplant, dass ihre Mitstreiterin langfristig von den Einnahmen hätten leben sollen, das sei nicht mehr realistisch, zudem habe sich familiär etwas verändert. Für Lisa Michaelis sollte es ein Engagement neben der Rente sein. Sie ist noch als gesetzliche Betreuerin für mehrere Klienten gefragt.
Die beiden Frauen begannen mit in der Corona-Zeit, sie hatten ein Jahr Vorbereitungen in ihr Projekt gesteckt. Während andere Bio-Märkte große Parkplätze vor ihren Türen haben, ist das an der Lünertorstraße nicht der Fall. Eigentlich hatten sie die Idee, dass sie einen der wenigen Parkplätze in eine Abstellmöglichkeit für Fahrräder hätten umgestalten können, denn mancher kommt mit dem Lastenrad. Doch das habe mit der Stadt nicht geklappt. Die lange Baustelle an den Bahnbrücken macht die Zufahrt ebenfalls nicht einfacher. Doch darüber will die 64-Jährige nicht klagen: "Wir hatten Unterstützung, die Vermieter sind uns sehr entgegengekommen. Es hat am Ende nicht geklappt."
Damit endet wieder eine Tradition in dem 1889 gebauten Haus. Fast 110 Jahre lang war dort das Lebensmittelgeschäft Brinkmann zu Hause. Einst ein Feinkostgeschäft, dann ein Tante-Emma-Laden, der sich großer Beliebtheit erfreute. Doch 2008 ging es für Arno und Doris Brinkmann nicht mehr weiter, sie waren 76 und 80 Jahre alt, als sie ihren Laden abgaben. Es folgte eine Kneipe, dann der Glaube an das Öko-Projekt.
Am Mittwoch öffnen sie den letzten Tag, am Sonnabend veranstalten die beiden Betreiberinnen Michaelis und Steinbrennereinen Flohmarkt mit restlicher Ware und Möbeln. Es kommt etwas Neues. Wahrscheinlich Büros in dem alten Geschäft, und die engagierten Frauen machen etwas anderes. Sie sagen ihren Kunden "Danke für die Treue". Carlo Eggeling
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