Lüneburg, am Freitag den 25.04.2025

Torte? Aber bitte mit Sahne — Christian Lindner in Lüneburg

von Carlo Eggeling am 13.01.2025


Die Geschichte mit der Torte ist zu gut, die muss er erzählen. "Hat irgendjemand eine Torte dabei?", fragt Christian Lindner. Er grinst. Es sei "traumatisierend" gewesen, dass ihm neulich eine Frau bei einem Wahlkampfauftritt eine Torte ins Gesicht gehauen habe. Schlimm sei es für ihn gewesen, weil er aus eine Konditorenfamilie stamme, es sei nur Rasierschaum gewesen, keine Sahne. Natürlich baut der ehemalige Bundeswirtschaftsminister einen Kalauer mit Botschaft daraus: Da sehe man mal, wie langweilig und genussfeindlich die Linken seien -- keine Sahne! Ich bitte Sie!

Das Publikum von jung bis alt, aber einheitlich bürgerlich, hat er gefangen. Applaus. Die Lüneburger Liberalen haben einen Coup gelandet, der FDP-Vorsitzende und Spitzenkandidat spricht am Montagvormittag im Kunstsaal im Lünepark. 199 Menschen passen da rein. Vor der Tür standen mehr, kaum einer musste wohl gehen.

Lindner spricht darüber, was zu erwarten ist: Bürokratie bremst, Lieferkettengesetz, Arbeitszeitgesetz, Dokumentationspflichten lähmen die Wirtschaft. Vieles sei unnötig, streife man die Fesseln ab, wäre das eine Belebung die "null Euro kostet". Es folgt ein Beispiel vom Baggerfahrer. Der Mann wolle zehn statt acht Stunden pro Tag arbeiten, dürfe er aber nicht, sage der Vorarbeiter. Da stehe das Gesetz vor. Der Kollege vom Bau habe gebarmt, er habe nun mehr Freizeit, da gebe er mehr Geld aus in der Kneipe. Eine Geschichte, die man mal so hört als Minister.

Sie passt ist in die Erzählung Deutschlands, das eigentlich ein starkes Land ist, zum Beispiel mit 190 Professuren im Bereich KI. Doch Work-Life-Balance, Homeoffice und ein Sabbatical stünden für eine veränderte innere Einstellung: Spitze beim Lebensstandard, bei Sozialleistungen, bei Umweltthemen und bei der Moral. Doch die Bereitschaft zu Spitzenleistungen bei der Arbeit sei oft nicht vorhanden, die Einstellung habe sich verändert: Es gebe in der Geschichte keine Gesellschaft, die ihren Wohlstand verbessert habe durch weniger Leistung. Applaus. Was sonst?

Noch einen hinterher. Der baden-württembergische Produzent unter anderem für Motorsägen, Stihl, überlege, Produktion in die Schweiz auszulagern. In die Schweiz! Die sei nun wahrlich kein Niedriglohn-Land. Schweiz! Applaus. Klar, was hilft: Überstunden müssten steuerfrei bleiben, die kalte Progression zurückgefahren, der Soli ganz abgeschafft werden, er bestrafe Leistungsträger. Gar nicht gehe die Ansage Robert Habecks, Abgaben auf Kapitalerträge zu erheben. Es scheinen viel im Raum Wertpapiere zu besitzen. Applaus.

Während SPD und in Ansätzen auch die Grünen eher nach unten verteilen möchten, klingt es bei Lindner so, als ob er für eine andere Umverteilung eintritt, wer gut verdient, müsse entlastet werden – getreut der alten Maxime: Leistung muss sich lohnen. Bürgergeld gut und schön, schmälert aber den Anreiz, arbeiten zu gehen. Besser wäre es, den Grundfreibetrag der Einkommenssteuer um 1000 Euro zu erhöhen, da hätten untere Einkommensgruppen mehr im Portemonnaie: "Es gehört zum Aufstiegsversprechen unseres Landes, dass die mehr haben, die arbeiten."

Es gibt zig Berichte von Sozialverbänden und Wissenschaft, die belegen, dass Kinder aus armen Familien es schwieriger haben, diesen Aufstieg zu schaffen, dass Armut im reichen Deutschland ein Begleiter für viele ist. Allein die Lüneburger Tafel unterstützt nach eigener Aussage bis zu 2500 Menschen mit Lebensmitteln. Die Zahl steigt sei Jahren.

Es wäre spannend, der Frage nachzugehen, wie das sein kann, wenn Lindners Leistungs-Logik und die Annahme des soziale Gießkannen-Prinzips stimmten. Ob sich Zuhörer die Frage stellen?

Ausstieg aus der Ampel. Natürlich, um Haltung zu bewahren und sich selbst treu zu bleiben. Mehr Schulden machen, sei keine Lösung. Der Staat nehme genug ein. 600 Milliarden in den nächsten zehn Jahren für Infrastruktur? Das müsse das Land so wuppen bei geschätzten Einnahmen von zwölf Billionen Euro im selben Zeitraum. Zahlen, die auf die Schnelle nicht zu prüfen sind, aber in die Erzählung passen.

Sparen? Ja, bei Ministerien: SPD-Minister Hubertus Heil habe aus dem Arbeitsministerium "eine Außenstelle des DGB gemacht". Gelächter. Zusammenlegen mit dem Wirtschaftsministerium. Entwicklungshilfe? Könnte mit dem Außenministerium verschmelzen. Mit einer Stimme sprechen. Bundesumweltamt. Dazu gebe es spiegelgleich Fachbehörden, die sich widersprächen. Fusionieren. Bestimmt viele Ansätze zum Nachdenken.

Bleibt die Überlegung, ob FDP und Lindner überhaupt in den nächsten Bundestag einziehen. Die Umfragen schüren Zweifel. Mit wem Lindner regieren möchte, ist klar: mit der CDU. Die Grünen an der Macht? Bloß nicht, Habeck dürfe sein "Zerstörungswerk nicht fortsetzen". Die Roten? Selbstverständlich nicht. Die CDU sei super. Ob Friedrich Merz die Einschätzung gefällt? Die Christdemokraten seien wie ein Chamäleon, hätten sich ideologisch je nach Bündnis mal grün, mal rot verfärbt. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Mit der FDP werde es gelb. Gelächter.

Als Entertainer überzeugt Lindner sein Publikum. Ob er und seine Aussagen dem örtlichen FDP-Kandidaten Cornelius Grimm helfen -- wahrscheinlich nicht. Grimm, Gartenbauunternehmer und piksiges Mitglied des Stadtrats, ist ein Mann mit zupackendem Humor. Er besitzt keinen sicheren Listenplatz. Er juxt: Man möge ihm die Erststimme geben, dann klappe es mit Berlin. Na ja. Er lacht selber.

Bleibt die Torte. Die bekam Lindner als kleines Dankeschön von seinen Parteifreunden geschenkt: Sandkuchen. Sein Begleiter-Team hat etwas zu naschen. Weiter. Nächster Termin. Es dürfte wieder kurzweilig werden. Immerhin. Carlo Eggeling

Das Foto zeigt Cornelius Grimm und Kreisvorsitzende Anna-Lena Narewski. Sie schenken Christian Lindner einen Kuchen.

© Fotos: ca


Kommentare Kommentare

Kommentar von Rainer Mangold
am 13.01.2025 um 23:50:51 Uhr
War der witzige Herr Lindner denn nicht Finanzminister und Stellvertreter von Bundeskanzler Scholz bei Abwesenheit des Vizekanzlers im Kabinett der 24. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland vom 8. Dezember 2021 bis zum 7. Dezember 2024?

Warum hat er in diesen drei langen Jahren nichts dafür getan, die disruptive Wirtschaftswende einzuleiten, die künftig jedem VW-Arbeiter eine Villa im Tessin mit Porsche vor der Tür bescheren soll?


Kommentar posten Kommentar posten

Ihr Name*:

Ihre E-Mailadresse*:
Bleibt geheim und wird nicht angezeigt

Ihr Kommentar:



Lüneburg Aktuell auf Facebook