Rhythmus der Rechtsextremen
von Carlo Eggeling am 06.08.2024Selbst die politischen Freunde der Angeklagten waren erschöpft und gingen vor die Tür des Landgerichts, um zu rauchen. Die beiden Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft listeten am Dienstagvormittag einen Fall nach dem anderen auf. Drei Stunden werde es dauern, die Anklageschrift im Neonazi-Prozess zu verlesen, hatten sie vorher zu Wachtmeistern gesagt. Letztlich die Wiederholung der Wiederholung: Liedtexte von rechten Bands mit Namen wie "Erschießungskommando" oder "Angriff 88", die vom "Tag der Rache" fabulieren oder "arischen Kämpfern", die aufräumen wollen. Fünf Männer im Alter von 34 bis 54 Jahren sollen sich zusammengeschlossen haben, um "Tonträger" mit volksverhetzendem Inhalt zu produzieren und zu verkaufen. Vier waren von Anfang an dabei, also seit Beginn 2018, einer kam ein Jahr später dazu. Die Anklagebehörde legt den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung zu Grunde, wirft dem Quintett und weiteren Mittätern, die "gesondert verfolgt" werden, zur Last, "nationalsozialistische, antisemitische und rassistische Ideologie" verbreitet zu haben. Umsatz mit den CDs: rund 280 000 Euro
Mal geht es um 49, mal um 17 Taten. Als "Rädelsführer" gilt Lasse K., der in Bardowick lebt und aus Vögelsen kommt. Er ist seit langem in der extrem rechten Szene unterwegs. Einfach gesagt, hat er im Internet einen Plattenladen betrieben, die anderen Angeklagten sollen ihm geholfen haben bei der Produktion, dem Erstellen von Covern und dem Vertrieb. David H., interessanterweise ein Mann mit einem jüdischen Vornamen, soll Lizenzen besorgt haben. In den Liedern ging es in Anlehnung an Konzentrationslager der Nationalsozialisten unter anderen darum, aus der Haut von Juden Lampenschirme zu machen. Die Cover trugen zum Teil Hakenkreuze und Bilder von SS-Männern.
Auf ähnlich menschenverachtenem Niveau bewegen sich auch andere Texte, die die beiden Staatsanwälte zitierten, Flüchtlinge sollen auf dem Mittelmeer ertrinken, in Parlamente müssten Handgranaten geworfen werden. Politiker wie den ehemaligen und inzwischen verstorbenen Bundesminister und Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble solle man ermorden.
Lasse K. schienen die Vorwürfe nicht sonderlich zu beeindrucken, ab und an lachte er mit seinem Anwalt, bei manchem Passagen grinste er, um sich dann eine Hand vor den Mund zu halten. Der 34-Jährige sitzt in Oldenburg in Untersuchungshaft. Als er in einem VW-Bus der Justiz zum Gericht gefahren wurde, kam er am seitlichen Eingang des Gerichts vorbei, wo offenbar fünf Freunde von ihm in der Schlange standen und warteten, um eingelassen zu werden. Sie winkten ihm zu, eine der Frauen sagte: "Er freut sich, dass wir hier sind."
Im Publikum finden sich auch Anhänger aus der lokalen Neonazi-Szene, unter anderem ein Mann, der mit Kleidung handelte, die in rechtsextremen Kreisen angesagt ist und der Aufmärsche von Rechtsextremen in Lüneburg mitorganisierte. Mehrere Kamerateams und schreibende Journalisten verfolgten die Verhandlung, Vertreter der Antifa hörten zu.
Das Gericht hatte sich mit scharfen Sicherheitskontrollen auf den Prozess vorbereitet. Abtasten, Schuhe ausziehen und Kontrolle, selbst Getränkeflaschen sammelten die stämmigen Kollegen der Justizverwaltung ein und verstauten sie. Die 1. Große Strafkammer, die den Fall unter Vorsitz von Michael Herrmann verhandelt, hat Termine bis in den Dezember angesetzt.
Es dürfte einige juristische Fechtereien geben. So monierte ein Anwalt, die Vorwürfe gegen seinen Mandanten seien zu unkonkret formuliert, die Kammer möge diese Punkte der Anklage nicht verlesen lassen. Den Antrag verwarfen die Richter, alles gehöre schon formal in die Anklageschrift. Der Prozess geht am 14. August weiter. Carlo Eggeling Bilder geben einen Eindruck aus Saal 21.
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