Lüneburg, am Samstag den 26.04.2025

Nett. Ist doch gut.

von Carlo Eggeling am 11.02.2023


Meine Woche

Sehr nett

Zuerst eine gute Nachricht: Die Familie Tschorn behält ihren Laden zwischen Sand und Kalandstraße. Eben hatte ich gehört, dass Lüneburgs beliebtes Lebensmittelgeschäft schließen wolle. "Da ist nichts dran", sagt Matthias Tschorn, für die "kommenden zehn, fünfzehn Jahre" gäbe es keine solchen Pläne. Gleichwohl moniert er, was viele Geschäftsleute beklagen: Die Stadt streiche Parkplätze und sende damit das Signal, die Geschäfte in der Innenstadt seien schlechter zu erreichen. Tschorn, der einen Lieferservice und selber 16 Stellplätze anbietet, sagt: "Auch wir merken das, wer Getränke kaufen will, fährt eher zu unserem Markt am Bockelsberg."

Tschorn und der deutlich kleinere Markt "Wist" der Familie Petersen sind die beiden einzigen klassischen Lebensmittelmärkte direkt in der Innenstadt. Kaisers, Coop/Pro, die Lebensmittelabteilung im Kaufhaus Kerber -- alle verschwunden. Tschorn bedauert das, denn sie seien ein Teil im Orchester des Konzerts Innenstadt gewesen: Kunden hätten das Gefühl gehabt, alles zwischen Bardowicker und Salzstraße zu bekommen. Doch die großen Lebenmittelhändler bauten am Stadtrand -- mit reichlich Parkplätzen. Dazu Spezialmärkte fürs Bauen, elektronischen Spaß, fürs Einrichten.

Die Erzählung von leeren Parkhäusern, von einem grünen Internet-Allwissend gern fotografisch in Szene gesetzt, verfängt nicht bei jedem. Es mag genug Stellflächen geben, aber wer nach außen ein Streichkonzert spielt, muss sich nicht wundern, wenn es im Zuschauerraum leerer wird. Aus Barskamp, Bienenbüttel und Betzendorf ist das Lastenrad nicht immer das Verkehrsmittel der Wahl. Matthias Tschorn und seine Familie machen weiter, führen ihr Geschäft und haben wenig Illusionen. Er sagt sarkastisch: "Am Ende hat ja die Stadt den Schlüssel, um hier alles abzuschließen."

Nun droht die nächste Herausforderung. Die Unternehmerfamilie Westermann möchte ihren Roy-Robson-Verkauf an der Bleckeder Landstraße von 2830 auf bis zu 4150 Quadratmeter erweitern, um Filialisten Räume anzubieten. Klar befürchten die Händler im Kern, dass ein neuer Magnet am Rand entstehen könnte, der ihnen den Umsatz abzieht. Schon heute stehen bekanntlich rund 30 Geschäfte leer -- sogar an der 1-A-Lage Bäckerstraße.

Vor einem dreiviertel Jahr hatte der Rat auf Empfehlung der Verwaltung für eine Veränderungssperre gestimmt, damit waren die Pläne erst einmal gestoppt. Doch nicht alle übten den Schulterschluss mit den Händlern in der City. Weil so vieles vergessen wird zur Erinnerung: Im vergangenen Mai enthielten sich laut Pressestelle im Rathaus fünf Grüne, vier stimmten gegen die Veränderungssperre, Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch stimmte dem Vorschlag ihrer Verwaltung zu. Kritiker hatten einen Zusammenhang mit einer Wahlkampf-Anzeige über mehrere Seiten der Lünepost zugunsten von Frau Kalisch gesehn. Das hatte der Fraktionschef der Grünen, Ulrich Blank, damals bestritten, die habe man selber bezahlt. Unter anderem Roy-Robson-Chef Heiko Westermann hatte Kandidatin Kalisch für äußerst kompetent und wirtschaftsfreundlich erklärt.

Mal sehen, wie alles am Ende ausgeht, denn bei einer Informationsveranstaltung zu einem Einzelhandelsgutachten, gab Frau Kalisch offenbar keine Linie vor. Während ihr Vorgänger Ulrich Mädge unter Applaus Begrenzungen für eine Erweiterung forderte, war laut Zeitung von der Oberbürgermeisterin nichts Eindeutiges zu hören, außer einem Statement in Richtung Mädge: "Gut, dass Sie Ihre Perspektive hier mit einbringen." Aha. Und weiter: "Kalisch betonte, dass ihr an einem transparenten Prozess gelegen sei und es um eine „zentrumsverträgliche Erweiterung“ gehe. Letztlich entscheidet der Stadtrat, ob der größere Fabrikverkauf ermöglicht wird." Aha.

Der Kulturdezernent vermisst einen möglichst allumfassend Veranstaltungskalender, habe ich in einem Beitrag über ihn gelesen. Nun ja, die Landeszeitung bietet einen, Lüneburg aktuell ist eine weitere Plattform, bei der Lüneburg Marketing kann man fündig werden. Wer mag, ist gut informiert. Auch als Kulturdezernent. Aber Florian Forster hat viel zu tun. Die Flüchtlinge. Denn er ist zudem Sozialdezernent, dazu für Soziales, Bildung und Sport zuständig. Mit einer Schar von Mitarbeitern und einer Stabsstelle. Überdies hat die Oberbürgermeisterin den Bereich Kultur vor einem Jahr aufgestockt, weil sie selber -- anders als ihr Vorgänger -- dieses Ressort nicht mehr verantworten wollte.

Mein Kollege Hans-Martin Koch, Lüneburgs bester Kulturkenner, ist ein Mann der leisen Töne. Wenn er seinen Text mit der LZ-Playlist und dem Nachfolger von Freddie Mercury bei Queen beginnt, scheint sein Gegenüber kein drängendes Thema angesprochen zu haben. Man kann nett und charmant sagen, dass eigentlich mehr kommen müsste.

Forster erklärt: "Wir machen als Stadtverwaltung nicht die Kultur, wir schaffen Rahmenbedingungen. Entscheidend ist, was die Politik will." Sie müsse sich positionieren. Das gelte auch für die großen Themen: Was wird aus dem Theater? Was aus den Museen angesichts explodierender Energiekosten? Noch eine Aufgabe sei vorrangig für Florian Forster: Die Verwaltung solle mehr Zeit für Kulturberatung und Unterstützung bekommen. "Wir müssen Rollenklarheit schaffen."

Rollenklarheit. Gucken wir mal auf die Definition. Dezernent. Das Wort kommt vom lateinischen decernens und meint entscheidend, bestimmend. Man gewinnt den Eindruck, dass sich die Rathausführung anders empfindet, als Sachbearbeiter. Der Leiter des größten Ressorts der Stadt könnte selbstbewusst etwas Selbstverständliches tun: Ideen präsentieren. Selbstverständlich entscheidet schließlich die Politik, wenn sie denn entscheidet.


Andere Städte setzen voraus, dass die Führungsriege in der Stadt lebt. Bei der Kultur bietet sich das an, Premieren, Ausstellungseröffnungen, Konzerte, Lesungen -- meistens am Wochenende. Wahrscheinlich weiß Herr Forster gut Bescheid, was an diesen Tagen in Bremen läuft. Denn sein Wochenende verbringt er laut dem Artikel zu Hause -- in Bremen. Das darf nicht vergessen werden: Herr Forster gilt als sehr nett, so sagen es Politiker, so ist es im Rathaus zu hören.

An der Bockelmannstraße, duftend-lauschig einladend gelegen neben Kläranlage, Tierheim und Hauptverkehrsstraße, stehen inzwischen Container, in denen bald bis zu 150 Flüchtlinge eine Bleibe finden sollen. Dazu schickte das Rathaus eine Pressemitteilung samt dreier Bilder. Die Boxen zum Hausen sind auf den Fotos zu erahnen, dafür sehen wir dreimal die Oberbürgermeisterin. Danke, Claudia Kalisch, möchte ich an dieser Stelle wie andere bei Facebook sagen. Einer allerdings fehlte: der zuständige Sozialdezernent. Vielleicht war Florian Forster mit dem besten Sänger der Veteranen von Queen nach Freddie Mercury beschäftigt. Wie nett. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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