Lüneburg, am Dienstag den 11.02.2025

Lüneburgs schiefe Ecke

von Carlo Eggeling am 12.01.2023


Dass hier etwas schief läuft, kann man nicht übersehen: Am Ochtmisser Kirchsteig neigen sich Häuser dramatisch. Weil die Bauverwaltung im vergangenen Sommer befürchtete, ein Haus könnte einstürzen, ordnete sie an: Die Bewohner müssen ausziehen. Nach Monaten konnten die Eigentümer zurückkehren. Handwerker haben unter anderem den Giebel stabilisiert. Im Rathaus sagt Sprecherin Ann-Kristin Jenckel, Auflagen seien erfüllt worden, daher sei das Wohnen wieder möglich.

In den Häusern, die im unteren Teil des Ochtmisser Kirchsteigs stehen, leben die Menschen mit einer großen Neigung: Von der Straße bis in Richtung Garten bestehen in einigen Fällen Unterschiede von mehr als eineinhalb Metern. Einige haben ihre Häuser mit Ankern gesichert, Stahlstreben, die sich längs durchs Mauerwerk ziehen und verschraubt sind, um alles wie einen Kasten zusammenzuhalten. Wieder andere, das ist aus der Nachbarschaft zu hören, haben einen speziellen Schaum unter Fundamente pressen lassen, um so das Absacken zu verlangsamen.

Am Ochtmisser Kirchsteig zeigt sich das salzige Erbe Lüneburger Geschichte: Bereits im Mittelalter haben reiche Handelsherren und Kirchenfürsten die Sole genutzt, um daraus das Weiße Gold zu schöpfen. Die Kristalle waren damals teuer, bescherten den Lüneburgern Wohlstand, der noch heute an den Renaissance-Fassaden der Häuser abzulesen ist. Es ist recht einfach zu verstehen: Nimmt man unten immer etwas weg, sackt oben nach. Senkungen begleiten die Stadt seit Jahrhunderten. Als die Saline nach einem Jahrtausend 1980 ihren Betrieb einstellte, ging die Abwärtsbewegung gewaltig zurück.

Lüneburg thront auf einem unterirdischen Salzberg, der einen Durchmesser von rund einem Kilometer besitzt. Der Geologe Prof. Frank Sirocko hatte es vor langen Jahren so erklärt: Es gebe zwei Bewegungen; abwärts, weil der Boden nachgibt, aufwärts, weil Salz und mit ihm verbundene Stoffe aus geologischen Gründen nach oben drängen, dort auf Wasser treffen und so Spielarten von Gips bilden, die sich ausdehnen. Das traf 1931 ein Haus an der Frommestraße, Fotos belegen, wie die der unruhige Untergrund das Haus zerquetschte -- es musste abgebrochen werden. Jahrzehnte später verfügte die Stadt den Abriss von zwei weiteren Häusern wegen Einsturzgefahr.

Bei den Anwohnern am Ochtmisser Kirchsteig ging es um unterschiedliche Einschätzungen, sie betonen, dass sie auf Techniker und Statiker setzen, die sich mit Senkungen auskennen.

Im Rathaus kam man zu anderen Schlüssen.
Bereits im August hatte die Stadt auf Anfrage erklärt: "Die Eigentümer hatten zwar durch verschiedene Stabilisierungsmaßnahmen versucht, ihr Haus bewohnbar zu erhalten. Diese erwiesen sich letztlich aber allesamt als nicht ausreichend. Der von der Hansestadt eingesetzte Prüfstatiker kam zu dem Schluss, dass das Haus einsturzgefährdet ist. Demgemäß musste die Hansestadt den Bewohnern die weitere Nutzung untersagen, bis geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Standsicherheit gefunden und umgesetzt worden sind." Und weiter: "Die Schrägstellung vom straßenseitigen Giebel bis zur Rückwand Richtung Michaelisfriedhof betrug fast drei Meter."

Die Betroffenen stellen die Rechnung der Stadt infrage: Sie sagen, da es unter anderem eine Treppe, also eine Abstufung im Gebäude, gebe, mache die Schrägstellung keine drei, sondern zwei Meter aus.

Die Eigentümer haben einiges getan, um vor allem den Giebel ihres Haus zu entlasten, Mauerwerk wurde -- einfach gesagt -- gegen Holz ausgetauscht, um Gewicht zu reduzieren. Dazu kamen weitere Arbeiten, von Gutachtern begleitet. Nun konnten die Bewohner in ihr Zuhause zurückkehren, da die Bauverwaltung nicht mehr von einer akuten Gefahr ausgeht.

Nachbarn waren der Auffassung, dass der Bau des Kreisels an Mönchsgarten im Jahr 2002 die Senkungen ausgelösten haben könnte. All das ging vor Gericht, am Ende kamen Richter zu einem anderen Ergebnis. Ein von der Stadt eingeschalteter Gutachter sieht den Beginn der Abwärtsbewegung bereits im Jahr 1995, darauf ließen die Daten von Messpunkten schließen, welche die Stadt seit Jahrzehnten auswertet. Auch Prof. Sirocko hielt das Jahr 1995 für entscheidend. Damals sei der Kalkberggrund aufgebrochen, die Linie zeige in Richtung Kirchsteig. Im Untergrund könnten sich mächtige Spannungen entladen haben.

Das Rathaus ließ schon vor rund 15 Jahren an drei Stellen im Bereich zwischen Kirchsteig und Michaelisfriedhof Tiefenbohrungen niederbringen, die einen Blick in die Tiefe ermöglichen. Ergebnis: Rund 120 Meter unter der Oberfläche löst Wasser Erdreich aus, es komme zu Senkungen. Ein großer Hohlraum unter der Erde war nicht zu entdecken. Insofern haben Regen und Schnee, die versickern, eine Auswirkungen auf die Ausspülungen.

Ein Stillstand zeichnet sich nicht dauerhaft ab. Es gibt zwar Phasen, in denen die Senkungen gering ausfallen, doch in den vergangenen Jahren ging es am extremsten Punkt jährlich um die 30 Zentimeter nach unten.

Da der Untergrund in diesem Bereich in Bewegung ist, blicken Anwohner beunruhigt in Richtung Lauensteinstraße/Schanzenweg: Es gibt Pläne, die statt der bestehenden Häuser den Neubau von zwei Stadtvillen verfolgen. Wird gebaut, könnte das die Nachbarschaft erschüttern, im Wortsinne. Carlo Eggeling

Die Fotos geben einen Eindruck von der Situation am Ochtmisser Kirchsteig. Sie entstanden im vergangenen Sommer.

© Fotos: ca


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