Lüneburger Kneipenbummel
von Carlo Eggeling am 18.05.2024Meine Woche
Sonnenseiten
Manche Adressen sind so schön, dass man da als Einheimischer gar nicht mehr hingeht. Auf den Stint-Terrassen sitzen vor allem die, die von Lüneburg schwärmen -- als Besucher. Nachdem uns ein angeblicher touristischer Erfolg, der sich vor allem in immer mehr ausdrückt, nach dem anderen als grandios geschildert wird, fragen sich einige, ob das wirklich alles so toll ist. Ständig setzten Stadtführer mit der Fraktion Hans Guck in die Luft auf Blockaden, die Stadt als großes Freiluftmuseum. Wer weiß, angesichts eines 50-Millionen-Lochs im Haushalt, da könnte der forsche Kämmerer glatt auf die Idee kommen, ähnlich wie in Venedig, Eintritt zu kassieren. Das wäre weltstädtisch. In was für einer Liga spielten wir!
Doch nun holen sich Lüneburger das Wasserviertel zurück. Am Alten Kran locken Tische und Stühle, und vor allem seit drei Wochen die Mälzer Mühle. Die Betreiber des Bergström-Komplexes hatten dieses wunderbare Dornröschen zuvor vor sich hindämmern lassen, jetzt hat Holger Holly Klemz den Biergarten gemeinsam mit seinem Sohn Lasse aus dem Koma geküsst. Charmant, freundlich, voller Leben. Der Mälzer-Chef ist seit Jahrzehnten einer der Motoren der Gastro-Szene der Stadt. Wir treffen uns mit unserem Stammtisch dort -- und begrüßen rechts und links jede Menge Bekannte. Lüneburger, die sich, so wie wir, auf der anderen touri-schnieken Seite nicht mehr wohlfühlen.
Holly hat vor mehr als einem Vierteljahrhundert, damals mit seinem Schwager Andreas, den Aufstieg der Schröderstraße mitbegründet. Als die zur Fußgängerzone wurde, verwandelten sich Läden in Kneipen. Das Schröder's war angesagt, Schröder's Garten, heute unter anderer Leitung, gibt es noch immer an der Ilmenau. Holly und Andreas entdeckten das heutige Mälzer im alten Ensemble des Weinhändlers Crato -- seitdem eins der angesagtesten Lokale der Stadt -- bei Touristen und Einheimischen.
Wer unter der Woche über die Schröderstraße bummelt, sieht abends um neun vor einigen Wirtschaften viele freie Plätze. Es gibt eine Ausnahme, weil man bei Mike im Frappé wirklich gut isst, treffen sich auch da viele Einheimische.
Holly setzt mit der Mälzer Mühle wieder einen Akzent, oder besser einen Magneten -- er zieht ins Wasserviertel. Andere haben ihren Anteil, die Lasers mit Einzigartig und Blaenk, Davide mit seinem sizilianischen Eis und Natalie mit ihrer Südtiroler Wein-Botschaft.
Verwaltung und Politik mögen redselige Gremien, die Zukunftsstadt, Stadtkonferenz und Bürgerrat heißen. Es gibt ein paar andere, die sind konkret und legen los. Das macht Spaß und gibt Hoffnung in dieser jammerigen Zeit. Danke.
Eins meiner Lieblingsfotos der Woche kam aus dem großen Haus am Markt. Halb verdeckt von den zwei wichtigsten Repräsentanten stand dort Ilona Kampa. Sie hat 39 Jahre städtische Gebäude sauber gemacht, seit 2008 ist sie für die Büros der Verwaltungsspitze zuständig. Völlig richtig, der Frau zum Abschied in den Ruhestand Danke zu sagen, denn sie macht einen wichtigen Job. Dass sie in einer Pressemitteilung als "treue Seele" betitelt wird, klingt nicht nach einem Umgang auf Augenhöhe. Zu wem sagt man treue Seele?
Als Geschenk bekam die Musical-Freundin einen Gutschein. Das ist nett. Dass sie auch ihr Kehrblech und den Handfeger "als ihr original Arbeitswerkzeug mit ihrem Namen und der Lüneburger Skyline drauf" in die Hand gedrückt bekam, wirkt gelinde gesagt eigenwillig. Sie habe so daran gehangen, heißt es offiziell. Der ehemalige Ratsherr der Linken, Karlheinz Fahrenwaldt, hat es so kommentiert: "Vielleicht sollte die Stadt jeder neuen Mitarbeiter:in in dieser Position dieses Ensemble als Begrüßungsgeschenk machen und nicht erst wenn selbiges an den Nagel gehängt werden kann!"
Immerhin war's ein schöner Fototermin. Wenn man sich das Bild anschaut, allerdings nicht unbedingt für Ilona Kampa. Aber es könnte sein, dass es gar nicht darum ging. Ich weiß, ist gemein.
Freuen wir uns auf Pfingsten, biblisch betrachtet kam 50 Tage nach Jesu Tod der Heilige Geist auf die Jünger nieder. Von dem können doch alle etwas brauchen. In diesem Sinne himmlische Tage, und wer mag, genießt sie auf der neuen Sonnenseite des Wasserviertels. Carlo Eggeling
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