Lüneburg, am Freitag den 25.04.2025

„Keine Berührungsängste!“

von Lebenshilfe Lüneburg-Harburg am 03.09.2024


Golfclub-Chef Sven Flecke und andere Arbeitgeber riefen beim „Aktionstag Arbeit inklusiv“ Unternehmen dazu auf, Menschen mit Beeinträchtigung zu beschäftigen Lüneburg. „Mein Ratschlag: keine Berührungsängste! Einfach mal entspannt bleiben.“ Das sagte Sven Flecke, Geschäftsführer der Green Eagle Golfcourses in Luhdorf beim „Aktionstag Arbeit inklusiv“ am Donnerstag im Museum Lüneburg. „Ein Handicap sagt nichts darüber aus, welche Leistungskraft jemand hat und wie sich jemand integriert. Ich garantiere: Wer unser Greenkeeping-Team besucht, wird nicht sehen, wer Alino ist. Für uns ist er ein ganz normaler Mitarbeiter.“ Alino ist von der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg als Praktikant zu Green Eagle gekommen und geblieben. Flecke: „Die größte Qualifikation ist seine Einstellung zur Arbeit und zum Leben.“ Initiiert hatte den ersten „Aktionstag Arbeit inklusiv“ der Arbeitskreis Arbeit des Sozialpsychiatrischen Verbundes Lüneburg. „Arbeit mit Beeinträchtigung wird ein Thema der Zukunft sein“, sagte Karin Kremeike aus dem Organisationsteam. „Wir wollen es öffentlich machen. Für viele ist der Begriff Schwerbehinderung schwierig. Auch darüber wollen wir reden. Denn angepasste Arbeitsplätze können ein Teil der Lösung des Arbeitskräftemangels sein.“ Das bestätigte Karin Haas vom Arbeitgeberverband Lüneburg-Nordostniedersachsen. „Das Betriebsklima profitiert von inklusiver Beschäftigung“, sagte sie. „Es müsste viel mehr Offenheit geben.“ Timm Duffner ging noch weiter. „Ich halte hier ein Plädoyer fürs Unbequeme“, sagte der Geschäftsführer des Müsliherstellers Heyho. Seine GmbH beschäftige etliche Leute mit sogenannte multiplen Vermittlungshemmnissen. „Wir rösten Müsli, um Menschen einzustellen, nicht umgekehrt. Das ist diametral zur normalen Realität. Wir sollten uns von den Bedürfnissen der Unternehmen verabschieden und uns auf den Menschen konzentrieren. Wenn ich mich herauswage aus der Komfortzone, ist das viel erfüllender. Wir unterstellen einander Gutes.“ Von der Leuphana Universität war Professor Oliver Genschow beim Aktionstag zu Gast. Er leitet das interdisziplinäre Projekt „Sozial-innovative Transformation durch inklusive Arbeitswelten“. Anders gesagt, versuchen die Wissenschaftler folgende Frage zu beantworten: „Wie können wir es schaffen, Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen in Arbeit zu bekommen?“ Denn fast die Hälfte der Arbeitssuchenden zähle zu dieser Gruppe. Dafür arbeite die Uni unter anderem mit Firmen wie Heyho zusammen. „Von ihren Erfahrungen wollen wir Erfolgsfaktoren und Barrieren ableiten.“ In zwei Jahren wird das Projekt abgeschlossen sein, dann soll es eine Art Werkzeugkoffer für Unternehmen geben. Schon jetzt fanden die Forscher heraus: Menschen sind bereit, mehr Geld für Produkte aus inklusiver Produktion auszugeben. Und eines ist laut Genschow unbedingt nötig: „Soziale Transformation muss aktiv gestaltet werden.“ Über die Möglichkeit der Förderung von Arbeitsplätzen und Investitionen durch das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie - Integrationsamt sowie die N-Bank informierten Rolf Gollnick, Joachim Weigelt und Ralf Schäfer. So kann es zum Beispiel einen Zuschuss bei der Einstellung von Arbeitnehmenden und Auszubildenden mit Schwerbehinderung oder Gleichstellung sowie einen Investitionskostenzuschuss für die Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen geben. Außerdem wurde über die Gründung eines Inklusionsbetriebs oder eine Inklusionsabteilung informiert. Gollnick rief Arbeitgebende dazu auf, sich mit ihren Fragen an die beiden Institutionen zu wenden. „Wir versprechen unbürokratisches Handeln.“ Von ihren eigenen Wegen in Sachen Arbeit inklusiv berichteten weitere Gäste beim Aktionstag: Von der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie war Vorstand Bernd Menzel beim Aktionstag. Warum, sagte er in deutlichen Worten: „Die Möglichkeit, Menschen von der Lebenshilfe im eigenen Betrieb zu beschäftigen, ist viel zu wenig bekannt.“ Er selbst habe zunächst Vorbehalte aufgrund der Arbeitssicherheit gehabt und beschäftigt seit etwa einem Jahr eine Arbeitsgruppe der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg in der Kammverpackung. „Der Einzige, der sich umstellen musste, ist der Befüller des Kaffeeautomaten“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Andere Betriebe ruft er dazu auf, sich ebenfalls mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Ich bin ziemlich sicher, es klappt immer.“ Wer sich vor Ort davon überzeugen lassen möchte, könne gern in der Otto-Brenner-Straße zu Besuch kommen. Tanja Brose zählt zur Arbeitsgruppe der Lebenshilfe, sie erzählte: „In der Werkstatt war es mir zu laut, ich konnte mich dort nicht auf die Arbeit konzentrieren. Hier gefällt es mir, ich komme ich gut gelaunt zur Arbeit und fahre gut gelaunt wieder nach Hause.“ So zufrieden wie noch in keinem anderen Job ist auch Karina Moritz, die bei Bäcker Kruse –Der Lecker Bäcker arbeitet. 2020 bekam sie die Diagnose Autismus, „seitdem weiß ich, wieso ich so bin“, erzählte sie. „Ironie ist bei mir verloren, und bei nonverbalen Signalen brauche ich schon einen Holzhammer.“ Geschäftsführerin Hanna Kruse zeigte sich dankbar für die Unterstützung durch den Integrationsfachdienst (IFD): „Uns wurden viele Gespräche abgenommen, das ist wirklich toll. So konnten Kleinigkeiten schnell aus der Welt geschafft werden.“ Das IFD-Team hat außerdem den Tipp gegeben, den Antrag auf Gleichstellung zu stellen. Da dieser erfolgreich war, erhält der Betrieb nun einen Lohnkostenzuschuss durch das Integrationsamt. Timo Müller vom Gödenstorfer Maschinenbauer Salmatec berichtete, wie Mitarbeiter Jens Kämmerer die Diagnose Multiple Sklerose bekam. „Er hatte das bei uns zunächst gar nicht kommuniziert, weil er nicht die Notwendigkeit sah.“ Später aber habe der Schweißer gemerkt, dass er seine Arbeit nicht mehr wie gewohnt ausführen kann. „Ihm fehlte die Kraft.“ Jetzt ist sein Arbeitsplatz auf ihn angepasst: Das Bauteil ist drehbar, der Schweißtisch höhenverstellbar. „Wir hatten erst an einen Arbeitsplatz im Büro gedacht, aber das wollte er auf keinen Fall. Da war es wichtig, zuzuhören und ihm einen Arbeitsplatz zu ermöglichen, der ihm Spaß macht. Wir möchten dazu ermutigen, es zu versuchen. Es muss nicht beim ersten Mal klappen, manchmal braucht es eben einen zweiten Versuch.“ Als Arbeitgeber müsse man sich an die eigene Nase fassen, wenn etwas nicht gut laufe. „Am Ende geht es immer um Kommunikation.“ Finanzielle Förderung erhält Salmatec vom Integrationsamt für die laufenden Lohnkosten, außerdem bezuschusste das Amt die Investitionen am Werktisch. Manuela Liekefeld berichtete, wie sie nach der Geburt ihres Kindes aufgrund einer Lungenentzündung ins künstliche Koma versetzt wurde und mit einer schwarzen Hand aufwachte. „Die Entscheidung war: Amputation oder sterben“, sagte sie. Heute trägt sie eine Armprothese und arbeitet wieder bei Kaufland. „Uns war immer klar: Gemeinsam finden wir einen Weg“, sagte Kauflands Hausleiter Jörg Dittmer. Ulla Sievers vom Integrationsfachdienst erzählte, wie sie Manuela Liekefeld in dem Prozess begleitete. „Auch das ist ein Teil unserer Arbeit: psychosoziale Betreuung.“ Lüneburgs Erste Kreisrätin Yvonne Hobro hatte die Schirmherrschaft über den Aktionstag übernommen und dankte in ihrer Begrüßung all den Betrieben, die Menschen mit Handicap in ihren Teams willkommen heißen. „Inklusion ist nicht nur eine Vision, sondern kann auch Realität sein.“ Oder wie es Mitorganisatorin Lore Eylmann sagte: „Auf jeden Topf passt ein Deckel.“ Fast 350 Menschen haben den Weg zum Aktionstag gefunden. „Wir sind total überwältigt“, sagte Melanie Hasse aus dem Planungsteam zum Abschied. Einziger Wehrmutstropfen: „Wir hätten uns gewünscht, dass noch mehr Arbeitgebende gekommen wären. Schließlich werden die meisten Behinderungen erst im Laufe des Lebens erworben.“ Vielleicht geht ihr Wunsch ja nächstes Jahr in Erfüllung. Denn: Fortsetzung folgt. Fotos: Carolin George im Auftrag des Arbeitskreises Arbeit honorarfrei im Zusammenhang mit der Pressemitteilung Moderatorin Kirsten Hohn (l.) befragte v.l. Hanna Kruse und Karina Moritz (beide Bäcker Kruse), Ulla Sievers vom Integrationsfachdienst und Ralf Schäfer vom Integrationsamt. Moderatorin Kirsten Hohn befragte v.l. Daniela Lohrey (Lebenshilfe Lüneburg-Harburg), Tanja Brose (ausgelagerte Arbeitsgruppe der Lebenshilfe) und NYHH-Vorstand Bernd Menzel. Moderatorin Kirsten Hohn (l.) befragte v.l. Ulla Sievers vom Integrationsfachdienst sowie Manuela Liekefeld und Jörg Dittmer von Kaufland. Das Orga-Team des Aktionstages: Das Orga-Team des Aktionstages: v.l. Maria Zils, Izabell Heinitz, Melanie Hasse, Lore Eylmann, Bernd Dörgeloh, Karin Kremeike, Kirsten Hohn, Katja Zobel, Madlen Hiller, Anke Dierssen.

© Fotos: Lebenshilfe Lüneburg-Harburg


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