Innenstadt — alles super
von Carlo Eggeling am 20.07.2024Meine Woche
Verstand & Blödsinn
Optimismus gehört dazu. Wer im Marketing arbeitet, der blickt wohlgemut auf die Dinge. Das dürfen wir heute in der Lünepost und in der Landeszeitung lesen. Wortgleich. Das ist gut für den Leser, bei einem der Blätter kann er gleich weiterblättern, weil er dasselbe liest.
Noch sonniger als das Wetter fällt die Bilanz zur Innenstadt aus. 35 "sichtbare Leerstände" verzeichne man, haben drei Männer vom Team Strategische Innenstadtentwicklung gezählt. Das sei ein guter Wert. Ein Fortschritt. Immerhin. Ich meine, es war im April, als uns die Strategen erklärten, es geben unter 30 leerstehende Geschäfte und diese Lücken würden sich in den kommenden Wochen und Monaten weiter schließen. Optimismus eben.
Es bleibt heiter. Hätte Galeria-Karstadt die Segel gestrichen, hätte das Trio ein Konzept gehabt, man habe "über Nutzungsvarianten" nachgedacht. Denken ist immer gut. Der Eigentümer hatte, so hat er es erzählt, schon Nutzungsvarianten im Kopf, als er mit Partnern den Komplex kaufte und damit rechnen musste, dass die nächste Pleite ansteht. Einen Teil davon setzt er jetzt um. Sonst sähe es nach der Schrumpfung des Warenhauskonzerns mager aus. Dass er deutlich mit der Pacht nach unten gegangen ist und so auch — trotz eigener Interessen — etwas für die gesamte Stadt tut, sei nur nebenbei erwähnt.
Am besten gefällt mir der Blick der Flaneure bei ihrem Bummel durchs Puppenstuben-Lüneburg auf den Klotz der ehemaligen Buchhandlung, für den laut altem Betreiber eine stattliche Pacht aufgerufen wird, die Instandsetzung solle der Mieter obendrauf tragen. Wörtlich im Artikel: „'Da gibt es einen positiven Trend', verrät Kubisch, 'wir stehen in Kontakt mit den Eigentümern, die Kommunikation läuft gut.' Mehr will er dazu im Moment nicht verraten."
Aha, Christoph Steiner, von der Marketinggesellschaft nach der Kommunalwahl nicht übernommener Innenstadtkümmer und ehemaliger LZ-Chefredakteur, hat eine Menge versucht, Interessenten und die Erbengemeinschaft zusammenzubringen. Sagen wir so, auch ein Bekleidungskonzern will am Ende Geld verdienen und nicht drauflegen. Christoph schüttelt nur mit dem Kopf, wenn man ihn auf das Thema anspricht.
An der Grapengießerstraße wolle man einen Dialograum einrichten. Völlig neuer Ansatz, oder? Den gab es bis vor gut zwei Jahren, von Steiner und damaligem OB angeregt, an der Kuhstraße. Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch und Marketingchefin Gitte Lansmann und haben ihn dichtgemacht: zu teuer und die Mitarbeiter säßen zu weit auseinander. Deshalb hockte keiner mehr da für den Dialog. Bleiben wir optimistisch, dass es nun was wird und der Dialog klappt.
Ist wie beim Stadtfest, nachdem bombastisch im Vorjahr beinahe in der Insolvenz endete und dann wieder das kam, war Jahrzehnte in leichten Varianten lief -- da gilt das Bewährte als riesige Neuerung.
Frau Lansmann wurde übrigens heute vor drei Jahren als neue Marketing-Chefin vorgestellt. Vier verkaufsoffene Sonntage, ein Stadtfest unter anderem Titel, alle zwei Jahre Sülfmeistertage, dazu ein, zwei Musiknächte. Was Neues, was Mitreißendes hat noch nicht das Licht der Welt erblickt. Lediglich der Ruf nach Fördermitteln erschallt. Wie wär’s mit anderen kleinen Veranstaltungen, organisiert mit den Akteuren der Stadt?
Lesen wir weiter. Gewaltig der Erfolg, dass man nun in zehn Kneipen pinkeln gehen kann, die Stadt zahlt den Wirten ein bisschen Geld fürs Saubermachen. Irre. Wer fragte, durfte schon vorher mal zum Klo. Wie wär`s, wenn die Stadt die Toiletten im Rathaus nach sieben Jahren Baustelle und vertaner Zeit wieder öffnet? Warum verschwand das Klo in der alten Musikschule ersatzlos?
Der Hammer sind die Grünen Oasen, die nun kommen. Na klar, will jeder irgendwo sitzen. Das war in den 70er und 80ern nicht anders, als noch die Waschbetonkübel in den Fußgängerzonen standen. Vorm Luna-Brunen wirkt die Sitzgruppe so schön wie ein Müllhaufen im Landschaftsschutzgebiet. Wenn dann bitte am Rand des Platzes. Aber das nur nebenbei.
Vergangenes Jahr hat das Landesamt für Denkmalpflege das kritisiert. Nun sollen alle an Bord sein. Die zuständige Kollegin im Landesamt ist nicht mehr zuständig. Wie sich manchmal die Dinge fügen.
Heute lese ich: "Auf der Webseite der Stadt haben wir einen Gesuchs- bzw. Leerstandsmelder installiert. Intern verzeichnen wir alle Anliegen und konnten auch schon viele gute Kontakte zu Eigentümern ziehen." Wahnsinn. Ein Zitat aus einem LZ-Artikel aus dem Jahr 2013 zum selben Thema -- elf Jahre her: " In Absprache mit der Wirtschaftsförderung baut die Marketing ein sogenanntes Flächenmanagement auf. Auf einer Internetplattform sollen künftig Interessenten ihre Wünsche etwa nach Zuschnitt und Pacht für eine Immobilie eingeben, Hausbesitzer wiederum ihr Objekt offerieren. Martin Zießnitz (damals Mitarbeiter) will dann beratend zur Seite stehen. Er verspricht sich eine gewisse Steuerung, um eine Mischung zu erzielen, die weiterhin Kunden lockt." Martin hat den Standort übrigens gewechselt, neuer Job.
Bleiben wir heiter mit Karl Valentin: "Heute ist die gute alte Zeit von morgen." Vielleicht leben wir lediglich in einer Warteschleife.
Zu einem Innenstadtkonzept könnte ein Sozialkonzept gehören. Eins, das die sichtbare Armut, die Drogen- und Alkoholproblematik mitdenkt. Denn die Grüne-Oasen-Romantik wollten Geschäftsleute an der oberen Grapengießerstraße nicht haben. Eine Sitzbank war zuvor das Wohnzimmer einer trinkfreudigen Gemeinschaft geworden, laut, aggressiv und wenig diskret, wenn es darum ging, was oben hineinlief unten wieder rauslaufen zu lassen. Die Oberbürgermeisterin habe gar nicht reagiert, als man sie mehrmals wegen des Problems anschrieb. Das Ordnungsamt bedauerte.
Als die Bauabteilung das Sitzmöbel jetzt gegen eine Grüne Oase austauschen wollte, überzeugten die Anlieger die städtischen Kollegen die Oase anderswo als Labsal aufzustellen. Vor der wegen Bauarbeiten leeren IHK, da protestiert nun keiner.
Strategen denken weiter. Warten wir auf den nächsten wohlmeinenden Artikel in einem halben Jahr, wieder kostensparend doppelt abgedruckt, der uns erklärt, alles nicht so schlimm, wir brauchen nur mehr Fördergelder. Dann läuft alles. Oder auch nicht.
Gutes Wochenende mit dem Satiriker Karl Valentin: "Nieder mit dem Verstand – es lebe der Blödsinn." Carlo Eggeling
Kommentare
am 21.07.2024 um 10:20:25 Uhr
am 21.07.2024 um 12:10:15 Uhr
Gut so!
Endlich mal recherchiert und mit alten Aussagen und Artikeln gegenüber gestellt. Das fehlt den örtlichen Papierzeitungen!
am 21.07.2024 um 23:55:54 Uhr