Im Wasserviertel gelten andere Regeln
von Carlo Eggeling am 20.11.2023Es gelten neue Regeln, die kosten im Zweifel viel Geld: Ein Wirt hat neulich an der Salzstraße am Wasser Altglas und Pappe in seinen Wagen geladen, um den Abfall zu entsorgen. Der Gastronom schildert, was passierte: Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes habe sein Auto fotografiert, von vorne und von hinten. Als er ihn ansprach, sei kein Gespräch möglich gewesen. Danach habe er schriftlich ein Ticket über 55 Euro bekommen mit dem Hinweis, er könne Lieferzonen, ein ganzes Stück entfernt, anfahren. Ein Kollege vom Stintmarkt schildert es ähnlich, auch er erlebe Diskussionen mit Mitarbeitern der Stadt, wenn er an seinem Lokal parke, um Waren auszuladen samt der Drohung eines saftigen Knöllchens. Ein anderer Anlieger, der Auf dem Kauf ein Geschäft betreibt, sagt, es liege oftmals an den jeweiligen "Aufschreiber", obwohl denen klar sei, dass die Anlieger dort Ware aus oder in ihre Läden trügen, falle der Ton sehr harsch aus: "Sie können da hinten halten."
Zusammengefasst läuft es aus Sicht einiger Anlieger nicht rund, seitdem die Stadt vor einem Monat neue Regeln für das Wasserviertel verkündet hat. Sie wünschen sich mehr Augenmaß. Angeblich gebe es diverse Beschwerden. Im Rathaus heißt es aus der Pressestelle: Es dauere eine Zeit, bis sich alle umgestellt hätten. Und: "Nein, es liegen lediglich vereinzelte, direkt an die Hansestadt gerichtete, Beschwerden oder Anmerkungen zu den eingesetzten Pollern vor."
Allerdings kollidieren die Ideen der Planer augenscheinlich mit der Wirklichkeit. Auf dem Kauf soll autofrei sein, Parken ist nicht mehr gestattet. Wer abends durch die Straße geht, kann erkennen, dass sich nicht alle umgestellt haben. Stichprobe an fünf Abenden: rund ein halbes Dutzend Wagen steht am Straßenrand, offenkundig nicht nur, damit mal jemand kurz ein- oder aussteigt.
An der Baumstraße liegt eine Parkhaus. Durch die veränderten Einbahnstraßenregeln dürfen die Anwohner, die dort ihre Autos stehen haben, nur in Richtung Ilmenau abfahren. "Jetzt geht das", sagt eine Mieterin. "Aber im Sommer, wenn vor den Lokalen Tische und Stühle stehen und auf der Brücke Leute sitzen, wird es schwierig. Wir sind in der Vergangenheit angepöbelt worden." Ihren Wunsch nach einem besonderen Anwohnerschein, der deutlich macht, dass die Nachbarn dort zu Hause sind, hatte die Verwaltung abgelehnt. Nun die Anregung: eine Beschilderung, die erlaubt, in Richtung Im Wendischen Dorf abzufahren.
Dass es in dem 9,3 Hektar großen Viertel mit seinen rund 800 Bewohnern schwierig werden kann, berichtet auch Jehan: "Ich arbeite in der Lünertorstrasse bei ezigaro. Das Verkehrschaos spitzt sich weiter zu, da dass eingeschränkte Halteverbot nun auf unserer Straßenseite ist. Natürlich bekommen wir alle fast täglich Ware von großen Getränkehändlern. Nun reservieren die Roten Rosen jedoch genau dieses eingeschränkte Halteverbot sehr regelmäßig, sowie alle anderen Nebenstraßen."
Die neuen Einbahnstraßenregeln kümmern nicht jeden. Manch einer fährt quasi nach altem Muster. Hoteliers gehen davon aus, dass es unter anderem den Navigationsprogrammen liegt, die Gäste auf gewohnten Wegen führen. Allerdings, das ist zu beobachten, dürften einige schlicht abkürzen, um sich nicht auf die neue verknäulte Straßenführung einzulassen.
Besonders gut war das zu beobachten, als am 9. November der Schifferwall für eine Gedenkveranstaltung am ehemaligen Synagogenplatz abgehalten wurde. Die Polizei leitete die Blechkarawane durchs Wasserviertel um. Verkehrsregeln? Egal.
Trotzdem meinen die Planer im Rathaus richtig zu liegen, schließlich sei alles "in einem umfassenden Prozess der Beteiligung und Abstimmung aller relevanten Institutionen abgewogen, mit Anwohnerschaft und Gewerbe besprochen und in den politischen Gremien beraten worden. Nach vollständiger Umsetzung gibt es natürlich eine aufmerksame Beobachtungsphase." Handlungsbedarf sehe man im Moment aber nicht.
Verkehrberuhigung scheint aus Sicht des Verkehrsabteilung nur für die Autofahrer zu gelten. Ob Auf dem Kauf, in den Lokalen am Stint oder vor allem an der Lünertorstraße ist immer wieder zu hören, dass Radfahrer mit hohem Tempo durch die Gassen sausen, in der Dunkelheit oftmals ohne Licht, Lastenradpiloten und -pilotinnen mit ihren SUVs auf zwei und drei Räder generell meinten, Vorfahrt zu haben. Ist für Speichen-Fahrer ein Tempolimit in Sicht oder bremsende Schikanen?, fragen sich unter anderem Wirte. In Kürze lautet die Antwort: Wissen wir, machen aber aktuell nichts.
Die Antwort in Langfassung: "Die Situation einer teils hohen Frequenz an Radfahrenden in der Lünertorstraße ist bekannt und bestand auch schon vor der aktuellen Umstellung der Verkehrsführung. Dass es zu den Stoßzeiten vom und zum Bahnhof in besonderem Maße Fuß- und Radverkehr in dem Abschnitt gibt, hat sich nicht verändert. Der begrenzte Raum reduziert allerdings die Möglichkeiten weiterer Nutzungen oder baulicher Verkehrslenkung deutlich; dies zeigen auch die schon vor einigen Jahren geführten Gespräche zu notwendigen Feuerwehraufstellflächen versus dem Wunsch nach Außenbestuhlung. Bauliche Maßnahmen sind in diesem Abschnitt derzeit nicht vorgesehen. Die Entwicklung mit gewünscht zunehmender Aufenthaltsqualität und -quantität durch Gastronomie und Hotellerie in diesem Straßenzug wird durch die Stadt aber wahrgenommen und entsprechend der Anregungen der An- und Anwohnerschaft in weitere Überlegungen eingebunden."
An der Lünertorstraße hat man eher den Eindruck, dass die Verkehrsplaner das hohe Radlertempo nicht sonderlich nachdenklich stimmt: Wer vom Bahnhof heranstrampelt, bekommt durch eine Leuchttafel angezeigt, wie er am besten die Grünphase an der Scholze-Kreuzung nutzt. Dann kann er gut durchstarten. Carlo Eggeling
Die Fotos zeigen die Situation im Viertel.
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