Gradierwerk bekommt Hilfe
von Carlo Eggeling am 06.09.2024Es dauert eine Ewigkeit, doch nun will die Kurmittel-Gesellschaft beginnen, das Gradierwerk zu reparieren. Es gab Streit um die Kosten und wer zahlt, gut taten die geschätzt vergangenen zwei Jahre dem Wahrzeichen nicht.
Diese Pressemitteilung schickt die Gesellschaft:
Spaziergängern im Lüneburger Kurpark ist es vielleicht schon aufgefallen: Es tut sich was am Gradierwerk. Dort wird zurzeit alles zur Baustelleneinrichtung für die Sanierung vorbereitet. Unter anderem wird der Bereich durch einen Zaun geschützt, und es wurden Lagerflächen für Material geschaffen.
„Am kommenden Montag beginnen die Zimmerer damit, die relevanten Teile des Ständerwerks zurückzubauen“, erklärt Dirk Günther, Geschäftsführer der Kurzentrum Lüneburg Kurmittel GmbH. „Gleichzeitig werden notwendige Gerüste aufgestellt werden.“
Im Oktober werden dann die neuen Bohrpfähle gesetzt, die die Standfestigkeit des Gradierwerks und die Tragfähigkeit für eine Photovoltaik-Anlage sichern werden. Im Anschluss kann im Inneren des Ständerwerks ein neuer Holzrahmen gebaut werden.
„Wir freuen uns sehr, dass die Arbeiten jetzt endlich beginnen können“, so Günther, „denn nachdem klar geworden war, dass der Sanierungsbedarf viel größer ist als angenommen, mussten zunächst viele Fragen rund um den Denkmalschutz, die Finanzierung und vieles mehr geklärt werden.“
Auch Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch freut sich, dass das Projekt nach vielen Gesprächen, Bemühungen und Untersuchungen nun Form annimmt: „Unser Kurpark ist auf dem besten Wege, sein Wahrzeichen zurückzubekommen. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, die sich dafür eingesetzt haben, die historische Anlage fit für die Zukunft zu machen.“
Die Zuwegung zur neuen Baustelle wird über den Pfarrer-Kneipp-Weg erfolgen.
Das war mein Bericht im Mai 2022 zum Thema:
Das Gradierwerk braucht eine Kur
Im Kurpark rieselte Sole über Reisig, gut für die Atemwege der Besucher. Doch nun muss das lebendige Denkmal repariert werden. Hilfe ist nötig, darüber war man sich im Rat einig
Salz war immer wieder Schicksal Lüneburgs. Als der Kurpark 1907 eingeweiht wurde, hatten dafür die Saline und ihr Chef Otto Sachse eine entscheidende Rolle gespielt. Der Bergrat hatte mit der Stadt vereinbart, dass diese Gelände zur Verfügung stellte. Lüneburg knüpfte an einen touristischen Versuch an -- und baute ihn aus: Die Geschichte begann 1813. Damals stellte man nahe dem Haus des damaligen Salinendirektors zwei Holzwannen auf, heißt es in einer Festschrift der Kurmittel GmbH aus dem Jahr 1979. Die bescheidenen Anfänge des Solbades waren lukrativ: Zwischen 1814 und 1817 nahm man 2326 Taler ein, hatte aber lediglich Ausgaben von 1316 Talern.
Doch der erhoffte Erfolg stellte sich nicht so recht ein. Das änderte sich erst Jahrzehnte später, als mit Otto Sachse ein neuer Mann an der Spitze stand, der neue Wege ging. In der Saline war man glücklich: 1906 zählten die Verantwortlichen 800 Badegäste und 11 000 Bäder. So schlug die Geburtsstunde für den Kurpark, wie wir ihn noch heute kennen. Der aus dem Harz kommende Sachse überzeugte den Magistrat, ihm 60 Morgen Land zwischen dem ehemaligen Sülztor und dem Bockelsberg zu überlassen. Der Stadtteil Rotes Feld war da noch Zukunftsmusik.
Der Journalist Ulrich Werther, geboren kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert, beschrieb die Situation der Stadt vor gut mehr als 100 Jahren in seinen Lebenserinnerungen 1982 so: "An der Uelzener Straße waren lediglich einige Privathäuser längs des Kurparks errichtet. Die gegenüberliegende Straßenseite grenzte an das noch völlig unbebaute Rote Feld. Von der Ecke Kefersteinstraße bis zum Ilmenaugarten zog sich quer hindurch ein Trampelpfad. Am Eisenbahndamm, etwa im Zuge der heutigen Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße, befand sich damals noch eine Ziegelei." Der Park wurde damit auch zur Verbindung zu den Wäldern am Bockelsberg und dem Tiergarten so wie zur Roten Schleuse.
So eröffnet Sachse am 30. Juni 1907 mit geladenen Gästen den Park, den die Gebrüder Siesmayer aus Frankfurt nach dem Vorbild eines englischen Landschaftsgartens entworfen haben, mit dem schmucken Kurhaus mit einem 180 Quadratmeter großen Saal sowie einer Terrasse, die 100 Besuchern Platz bietet. Auch eine Trinkhalle für die Sole, ein Musikpavillon und natürlich ein Badehaus gehören dazu.
Parallel dazu locken die frisch eingeweihten Pensionen wie Erika und Heiderose Gäste. Damals flaniert der wohlhabende Gast über die Wege, lernt vielleicht eine entzückende Dame kennen. Die Kurschatten sitzen vor dem Gradierwerk um salzige Luft einzuatmen. Johanna Reisel hat 1987, also 80 Jahre später, über den denkwürdigen Tag in der Landeszeitung notiert: „Alles ist für die Gäste bereit: 13 Solbäder mit acht Holzwannen und fünf überaus modernen, weiß gekachelten. Dazu sieben Kinderbäder und vier Moorbadezellen. 60 sollen es eines Tages sein, Architekt Matthies hat alles für den Ausbau der drei Flügel bis hin zum Kesselhaus vorausgeplant.“
Lüneburg setzte mit seiner idyllischen und schönen modellierten Landschaft auf Kurgäste. Das Gradierwerk gehörte zum Konzept, 1927 erweiterten es die Verantwortlichen. Ursprünglich wurden solche Konstruktionen anders als in Lüneburg zur Salzgewinnung eingesetzt: Sole rieselte über Schwarzdornreisig. Sonne und Luft ließen Wasser verdunsten, Salz blieb für eine Ernte übrig. Obendrein freuen sich die Atemwege über die würzige Luft. Die Brise besitzt durch das Salz eine antiseptische Wirkung. Als Urlaubsort gewann Lüneburg an bescheidener Bedeutung, damals wuchsen Logierhäuser und Pensionen in Villen namens Erika, Heiderose und Auguste Viktoria sozusagen als Kurschatten an der Uelzener Straße empor. Inzwischen verschwunden und durch mondäne Stadtvillen ersetzt.
Als Sol- und Moorheilbad warb die Stadt für sich, offiziell trug sie den Titel als staatlich anerkanntes Bad allerdings nur zwölf Jahre lang von 1977 an -- dann fanden Gutachter die Luft in Lüneburg zu dick. Der ehemals riesige Acker vor der Stadt war nun vom Verkehr umspült. Der Niedergang begann vorher: Besucher blieben weg. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Einmarsch der Briten am 18. April 1945 nutzten die Engländer das Kurhaus für ihre Offiziere. Die Deutschen bauten im Garten Kartoffeln an, sie hatten Hunger.
Zurück zum Gradierwerk. Im vergangenen November musste es gesperrt werden, weil Reisigbündel herausbrachen. Eigentümer ist inzwischen die städtische Kurmittel GmbH, deren Geschäftsführer, Dirk Günther, wollte den sprühenden Salzstreuer reparieren lassen. All das fällt deutlich teurer aus als erwartet.
Im Rat nannte die Verwaltung am Donnerstagabend Zahlen: Würden nur die sichtbaren "Schadstellen" instand gesetzt, würden geschätzte Kosten von 50 000 Euro fällig. Doch das brächte zu wenig, weil sich die Malaise fortsetzen dürfte. Eine "Komplettsanierung", bei der Balken und Reisig ausgetauscht werden und ein Dach über die Konstruktion gesetzt wird, um alles besser "vor Umwelteinflüssen" zu schützen, schlüge mit geschätzt einer halben Million Euro zu Buche.
Mit Fördermitteln sehe es schlecht aus, weil Lüneburg kein Heil- und Kurort ist und das Gradierwerk eben nicht direkt der Kommune, sondern der Kurmittel GmbH gehört. Allerdings waren sich die Ratspolitiker von Grünen, SPD, FDP und CDU, also Sebastian Balmaceda, Hiltrud Lotze, Frank Soldan und Eckhard Pols, einig, dass historische und prägende Bau Hilfe benötige. Die Ideen: Sponsoring, eine Aktion für das Gradierwerk und eine Änderung in der Struktur -- die Stadt könnte das Ganze für einen symbolischen Preis zurückkaufen und käme so eventuell doch an Fördertöpfe heran.
Allerdings waren die Probleme zu erwarten. Denn im Rat hieß es auch, alle 12 bis 20 Jahre müsse ein Gradierwerk auf Vordermann gebracht werden. Lüneburgs ehemaliger Stadtarchäologe Prof. Dr. Edgar Ring sagt: "Salz und Feuchtigkeit greifen das Holz natürlich an." Zuletzt sei der Reisig 2001 ausgetauscht worden -- zwanzig Jahre ist das her. Ring sagt, was naheliegt: Sinnvoll wäre es, nach einer Reparatur immer etwas in den Sparstrumpf stecken, um dann in Zukunft nicht blank darzustehen. Carlo Eggeling
Die Fotos geben einen Eindruck, wie es am Gradierwerk aussieht. Die historische Aufnahme, die Prof. Ring zur Verfügung stellt entstand vermutlich in der 1920er Jahren.
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