Lüneburg, am Mittwoch den 30.10.2024

Es läuft alles — man muss daran glauben

von Carlo Eggeling am 27.07.2024


Meine Woche
Puppenstube

Der geneigte Stadtchronist sitzt mitten im Geschehen und kommt zum Schluss "Keine Busse, keine Autos, viel Ruhe", so stelle sich die Situation am Sand dar, weiß die Zeitung. Neulich hat man sich an gleicher Stelle noch über die Halbliter-Krakleeler und deren Laustärke vor der eigenen Tür aufgeregt. Tempi passati.
Zum Beitrag ein Foto, auf dem hinter dem Shuttle-Taxi ein Auto zu sehen ist. Es ist wie damals in der Sesamstraße, da sangen sie "Eins von diesen Dingen gehört nicht zu den andern, eins von diesen Dingen gehört nicht mit dazu". Irgendwie doof, wenn das Bild der eigenen These widerspricht.

Es sei super so ohne Verkehr, ein Vorbild könne das sein, befinde EINE Leserin, heißt es in dem Beitrag. Und die Stadtverwaltung komme zu dem Schluss, zwei Ersatz-Taxis reichen aus. Mehr brauche es nicht. Baustelle olé.

Vielleicht fragt man die, die nicht mehr kommen, weil ihnen der Bus fehlt, mit dem es einfacher war, aus den Randbezirken mitten in die Stadt zu gelangen und die wegbleiben. Zöge man die Touristen ab, wie viele Menschen säßen in den Straßencafés? Geschäftsleute beklagen Umsatzrückgänge. Alles nicht schlimm?

Die Baustellen in der Roten Straße und an der Johanniskirche würden den Verkehrsstrom abschneiden, lese ich. Wer als Redakteur auf den Bildschirm, aber nicht aus dem Fenster schaut oder gar das Wagnis eingeht, vor die Tür zu treten, dem würde auffallen, dass ein Schwung Handwerkerwagen auf dem Platz parkt, der ein und andere eine Genehmigung hinter der Scheibe liegen hat, die scheinbar zur endlosen Kaffeepause vor einem der Cafés einlädt. Für null Verkehr ist eine Menge los.

Mancher denkt über weitere wünschswerte Verkehrsberuhigung nach, man sollte tatsächlich denken: an die, die nicht gut zu Fuß sind und selbstverständlich zum Arzt, zum Einkauf, zu Freunden wollen. Und an die, die es schlicht bequem haben möchten und keine Fahrrad-Helden sind wie die kreischende Oma im Wahlkampf auf dem Plakat des Radentscheids. Es gibt die, die nicht lautstark für die Weltrettung trommeln, sondern wegbleiben.

Die Mobilitätswende hat offensichtlich viel mit Immobilität zu tun. Zeigt uns auch Metronom. Mir ganz plastisch. Ich hatte Termine in Hamburg, will in den Zug einsteigen, der in einer Minute fahren soll, leider gehen die Türen nicht mehr auf. Tschüs. Mit der S-Bahn nach Harburg und mit dem Bummelzug zurück. Immerhin, ich kam an. Jetzt streicht das ehemalige Vorzeigeunternehmen, das vor zwei Jahrzehnten wirklich für entspanntes Bahnfahren sorgte, wieder einmal Verbindungen.

Man werde so zuverlässiger. Klar, man kann sich drauf verlassen, noch öfter nicht fahren zu können. Immer eine Frage der Perspektive. Es fehle an Personal. Sorry, das ist jetzt Populismus: Aber wir haben mehr als zweieinhalb Millionen Arbeitslose, eine reichliche Zuwanderung, warum können Unternehmen die Menschen nicht ausbilden und die Arbeitsverwaltung das kräftig befördern?

Wer wie die Regierung im Flieger zu EM-Fußballspielen saust oder als kommunale/r Fürstin oder Fürst im Dienstwagen zu Terminen reist, bekommt von den Niederungen des Alltags nicht so viel mit. Wie wär's, wenn unsere Regenten ein Jahr lang im Inland mit der staatlichen Deutsche Bahn AG und Co oder Bus fahren? Das wäre für uns deutlich günstiger und brächte wichtige Alltagserfahrung. Gab mal einen OB, der es mit dem Weg ins Rathaus so hielt.

Grüne Oase klingt nach Tausendundeiner Nacht, nach einem Labsal in der Wüste. Eine Wüste scheint mir Lüneburg nicht zu sein, vor allem nicht bei der Anzahl der Eisendielen. Sei's drum. Fünf Sitzgruppen laden ein Platz zu nehmen. Selbstverständlich ist ein Streit darum entbrannt, wie ästhetisch, nützlich und angemessen das Ganze ist, wann die Dinger zerstört und bemalt werden. Eine Glaubensfrage.

Auf dem Marktplatz zu Füßen der unbewaffneten Luna -- sie kann sich nicht wehren -- wenig schön, aber gut für die Bewegung: Touristen drehen und wenden und winden sich um den Brunnen um selbigen und das Rathaus ohne Gestühl zu fotografieren. Ein bisschen Trimm-dich-Pfad mittendrin. 400 000 Euro sollen die Liegestuhlkreationen kosten, wirkt viel, ist aber für die Ewigkeit.

Irgendwann beruhigen sich alle und in ein paar Jahren durchweht ein anderer Zeitgeist die Straßen, dann räumt die nächste Generation den Kram ab so wie die Waschbetonkübel samt Grünzeug, die in den 70ern und 80ern zum Sitzen einluden. Wie damals: ob schön oder nicht ist egal, Hauptsache sitzen.

Wie gut, dass der Sommer ein vorweggenommener Herbst ist, da macht es gar nichts, dass das Wasserspiel im Glockenhof nicht geht. Nächstes Jahr, heißt es.

Das ist Lüneburg, puppenstuben-gemütlich. Da macht die Sitz-Ästhetik am Brunnen Sinn, schöne Aussicht aufs Heine-Haus, eine historische Reise in die Zeiten Heinrich Heines, der das Städtchen als Residenz der Langeweile empfand mit einem Kulturableiter im Rathaus. Wohnzimmer Innenstadt eben. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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