Eine teurere Geschichte
von Carlo Eggeling am 03.09.2023Seit 2010 hatten Ratsbücherei und Stadtarchiv einen gemeinsamen Leiter, das ist vorbei. Der bisherige Chef Dr. Thomas Lux soll sich künftig um anderes kümmern. Auf eine entsprechende Anfrage heißt es aus dem Rathaus: "Als Historiker ist Herr Dr. Lux bestens geeignet, sich der offenen Themen anzunehme. Zum Beispiel: systematische Erforschung der Lüneburger Straßen-, Gebäude- und Ortsnamen mit Fokus auf ihren Bezug zur Deutschen Kolonialgeschichte und der NS-Zeit (u.a. Hindenburgstraße), Arbeitskreis Erinnerungskultur/Textentwicklung für den Friedenspfad, Ehrenfriedhof Tiergarten, Rathaus-Geschichte etc)."
Was Politik und Verwaltung vorgeben, stößt nicht überall auf Zustimmung. Peter Asmussen, der gemeinsam mit anderen für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), zur Lüneburgs Zeit im Nationalsozialismus geforscht hat, sagt: "Ich weiß nicht, welche Straßennamen er noch erforschen soll." Über Hindenburg sei letztlich alles bekannt, andere Straßen seien bereits umbenannt worden. Strittig sei die Hinrich-Wilhelm-Kopf-Straße in Kaltenmoor. Doch auch da lägen die Fakten auf dem Tisch. Der Sozialdemokrat und erste niedersächsische Ministerpräsident war von 1939 bis 1943 im Auftrag der NS-Regierung als Vermögensverwalter im besetzten Polen aktiv unter anderem als „Treuhänder konfiszierter polnischer und jüdischer Güter“ und als Enteignungskommissar.
Auch die Kolonialgeschichte ist beleuchtet. Carl Peters aus Neuhaus bereicherte sich in Ostafrika, war verantwortlich für willkürliche Todesurteile an der Bevölkerung. "Seine" Straße am Zeltberg wurde in Albert-Schweitzer-Straße umbenannt. In der Michaeliskirche erinnern Schautafeln an Soldaten, die an den sogenannten Herero-Aufstand 1904 in Südwestafrika, heute Namibia, erinnern. Die Soldaten trieben Einheimische in die Wüste, wo sie verhungerten und verdursteten. Die Gemeinde selber erklärt das lange bekannte Schicksal.
Der "Friedenspfad" und seine "Beschriftung" ist ebenso seit Jahren Thema eines Arbeitskreises wie der Ehrenfriedhof im Tiergarten, der an das Morden an KZ-Häftlingen im April 1945 erinnert. Gerade hier haben VVN und Geschichtswerkstatt maßgebliche Impulse gegeben und vieles erforscht. Darüber hinaus hatte die Stadt den Historiker Dirk Stegmann beauftragt, Lüneburgs Weg in den Nationalsozialismus und die NS-Zeit selber zu beschreiben. Ein armdickes Werk liegt seit 2020 vor.
Zwar gebe es noch einiges zu erforschen, etwa das Los von Zwangsarbeitern und Homosexuellen in Lüneburg, sagt VVN-Mann Asmussen, doch die engagierten Gruppen der Laien-Historiker mit ihren beachtlichen Ergebnissen, hätten gern mitentschieden, wer denn da forscht: "Ein Zeitgeschichtler wäre richtig." Lux sei ein ausgewiesener Archivar, der auch oft unterstützt habe. Da sehe er eher die Aufgabe des Historikers Lux.
Asmussen nimmt die Uni ins Visier. Studenten könnten sich nicht mehr für Geschichte einschreiben, der Lehrstuhl sei aufgelöst und fehle. Vor Jahren habe es Forschungsprojekte zur Lokalgeschichte gegeben.
Die Stadt schreibt in ihrer Antwort auf eine Anfrage ganz offen, dass es darum gehe, eine Stelle für Lux zu finden. Der habe die Leitungsfunktion von Archiv und Bibliothek in Abstimmung mit der Stadt aus gesundheitlichen Gründen abgegeben. Nun wolle man beide Einrichtungen wieder stärken. Im Rathaus sagt Sprecher Florian Beye: "Die anstehenden Aufgaben in den jeweiligen Bereichen sind mit je nur einer halben Stelle in der Leitung nicht adäquat zu bearbeiten, da es an ausreichenden personellen Kapazitäten in der strategischen Steuerung der Bereiche fehlt. Daher wird die Personalunion wieder aufgelöst und jeweils eine Bereichsleitung geschaffen, wie sie in allen anderen Bereichen der Stadtverwaltung auch üblich ist." All das sei in den Fachausschüssen des Rates vorgestellt worden, nun werde es umgesetzt.
Die Ratsbücherei werde von Kulturreferentin Stefanie Kibscholl kommissarisch bis zur Besetzung geleitet, das Stadtarchiv vom stellvertretenden Leiter Danny Kolbe. Der soll gute Chancen haben, den Posten zu übernehmen heißt es aus dem Archiv und der Verwaltung. Dafür spricht, dass diese Stelle intern ausgeschrieben wurde. Für die Bücherei gebe es 13 Bewerbungen, fünf seien in der engeren Auswahl.
So nötig die Neuausrichtung sein mag, teurer dürfte es künftig werden: volle Stellen, dazu Dr. Lux, der ja auch einen "Unterbau" benötigt. Angesichts eines Minus-Haushalts von angeblich rund 40 Millionen Euro eine interessante Entscheidung. Carlo Eggeling
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