Lüneburg, am Mittwoch den 19.02.2025

Ein altes Stück Lüneburg verschwindet — Abriss am Krankenhaus

von Carlo Eggeling am 20.09.2023


Vor Jahren hätte es eine Diskussion darum gegeben, wenn ein bedeutendes Gebäude vor dem Abriss gestanden hätte. Doch es bleibt sehr still, kaum jemand interessiert sich dafür, dass der letzte Rest des im Jahr 1900 eröffneten Krankenhauses einem Neubau weichen soll. Es gab jetzt ein Aufbäumen, aber an der Entscheidung ändert es nichts. Ein Blick auf die Lage.

An der Bögelstraße ist moderne Medizin zu Hause, und sie soll wachsen. Für vom Land geschätzte 53 Millionen Euro, veranschlagt waren ursprünglich 38 Millionen, soll quasi im Kern des Ensembles ein Mutter-Kind-Zentrum wachsen. Das alte, nun für die Verwaltung genutzte Gebäude E, ist im kommenden Jahr ein Fall für die Abrissbirne. Die Argumentation knapp zusammengefasst, lediglich dort kann das Klinikum wachsen und das muss es, wegen des Bedarfs und um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Doch beinahe wäre der Plan jäh ins Stocken geraten. Eben wegen des alten Trakts aus dem Jahr 1900, der zwar nicht unter Denkmalschutz steht, aber trotzdem hätte denkmalwürdig sein können. Eigentlich hätte zumindest eine Warnleuchte im Bauressort der Stadt aufleuchten müssen, findet man im Landesamt für Denkmalpflege. Im Rathaus wertet man anders: alles richtig gemacht.

Bei der Gesundheitsholding ist man der Auffassung, alles rechtzeitig angekündigt zu haben und sensibel vorgegangen zu sein. Klinikums-Geschäftsführer Dr. Michael Moormann: "Der geplante Abriss des Gebäudes E und der auf dem Gelände geplante Neubau des Eltern-Kind-Zentrums sind seit vier Jahren in Planung. Selbstverständlich haben wir geprüft, ob das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Obwohl das nicht der Fall ist und wir die Information bekommen haben, dass wir das Gebäude abreißen dürfen, haben wir bei den ersten Planungen Entwürfe geprüft, in denen alte Teile des Hauses in den Neubau integriert werden können. Das war leider nicht der Fall, da viele Teile des Gebäudes nicht an aktuelle Auflagen angepasst werden können, insbesondere bei Brandschutz, Belüftung und Barrierefreiheit. Auch ist das Gebäude nicht unterkellert, und die Decken- und Geschosshöhen passen nicht zum Rest des Gebäudes, was im Falle einen Notfalles das zeitnahe Erreichen des Zentral-OPs unmöglich macht. Nicht zuletzt lässt die Statik des Gebäudes ein Aufstocken nicht zu."

Die Verantwortlichen an der Bögelstraße haben sich auf die Einschätzung des Bauamtes der Stadt verlassen. Auf Nachfrage heißt es von der Verwaltung: „Der Altbau des Klinikums ist kein denkmalgeschütztes Gebäude und genügt durch die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte auch nicht dem gebotenen hohen Standard einer Denkmalausweisung. Diese Bewertung hatte die städtische Bauverwaltung in ersten Gesprächen mit dem Klinikum kommuniziert. Mittlerweile hat das Landesamt für Denkmalpflege diese Beurteilung bei einem gemeinsamen Vor-Ort-Termin genauso bestätigt. Es bleibt also dabei: Der Altbau des Klinikums ist kein denkmalgeschütztes Gebäude.“

Ganz so einfach bewertet Dr. Verena Ummenhofer, beim Landeamt für Denkmalpflege zuständig für Lüneburg, die Lage nicht. "Ich bin ein wenig sprachlos", sagt die Fachfrau. Die Verwaltung hätte aus ihrer Sicht eine sogenannte Denkmalwertüberprüfung einleiten müssen, was sie nicht getan habe. Dabei gehe es um vier Kriterien: geschichtlich, städtebaulich, künstlerisch oder/und wissenschaftlich bedeutend. "Allein die Fotos aus und von dem Gebäude weisen darauf hin, dass man das überprüfen sollte."

Verena Ummenhofer spricht von einem "Versäumnis der Stadt". Im Fall der Fälle hätte ihre Behörde das gesamte Projekt stoppen können. Dabei wäre es um einen Erhalt des alten Traktes gegangen oder eine Integration des Baus in den neuen Komplex. Eine Denkmalwertüberprüfung veranlasste inzwischen der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt (ALA). Dort empfindet man das alte Krankenhaus durchaus als erhaltenswert. Das Ergebnis enttäuscht, in Kürze: Es wurde über die Jahrzehnte so viel abgerissen und angebaut, dass der Rest nicht mehr erhaltenswert ist.

Die Begründung, die das Landesamt an den ALA schickt liest sich wie ein langes Versäumnis: "Trotz noch ablesbaren Qualitäten, sind wir im Referat zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gebäude nicht dem gebotenen hohen Standard einer Denkmalausweisung genügt. Dies ist den zahlreichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte geschuldet. So wurde das Krankenhaus in dieser Zeit derart von Neubauten verstellt, dass sich seine städtebauliche Wirkung nicht mehr entfalten kann. Der gravierendste Eingriff war jedoch der Abbruch von nahezu der Hälfte der ursprünglich dreiflügeligen Anlage, an deren Mitteltrakt hofseitig ein weiterer Baukörper angefügt war. Dieser Baukörper, sowie der zweite Seitenflügel fehlen vollständig, andere Bereiche wurden verändert oder ergänzt. Bei den Fenstern handelt es sich so gut weitestgehend um Rekonstruktionen, die dem Gebäude zwar angemessen sind, aber nicht mehr von der bauzeitlichen Handwerkskunst zeugen. Im Inneren ist die historische Ausstattung auf die wenigen beschriebenen Elemente sowie ein paar Türen und vereinzelte Flächen mit Terrazzo reduziert."

Und weiter: "Damit ist der historische Zeugniswert stark beeinträchtigt und der Grundsatz der Integrität nicht mehr erfüllt. Dennoch wäre eine dem Abbruch vorausgehende Dokumentation, die das Gebäude in seiner Historie und mit den verbliebenen baulichen und gestalterischen Elementen erfasst, in Anbetracht der Bedeutung, die es für die Stadt hatte, wünschenswert. Laut Aussage des Bauherrn sollen wesentliche Ausstattungselemente im Neubau präsentiert werden und an die Geschichte der Klinik erinnern. Unter Umständen können andere anfallende Baustoffe, wie Türen, Ziegel- / Formsteine etc. zur Wiederverwendung angeboten werden."

Mit wie viel Qualität man um die vorvergangene Jahrhundertwende baute, ist selbst für den Laien erkennbar. Das Treppenhaus weiß gekachelt mit grüngefassten Säulen, Bögen und verzierten Türen als Akzenten, dazu ein filigranes Treppengeländer und ein reich verziertes Oberlicht aus Glas, an der Fassade Ornamente und eine klare Formensprache. Eine Mischung aus Historismus und Jugendstil, lautet die Einschätzung eines Experten.

Aus vergangenen Jahrzehnten kennt man das Regime Alt weicht Neu, viele dachten, solche Wiederholungen gäbe es nicht mehr: Die Saline sollte komplett verschwinden, ein paar Kleinigkeiten im Museum würden reichen, um an das salzige Schicksal Lüneburgs zu erinnern. Ein Kampf gegen die Ignoranz, die selbst Museumsdirektoren besaßen, schuf schließlich das Salzmuseum. Oder der sogenannte Schintzel-Bau zwischen oberen Grapengießer- und Heiligengeiststraße. Uraltes Lüneburg wich zugunsten eines klobigen Modehauses.

Anzumerken ist, verschwindet das alte Gebäude, verschwindet auch eine der wenigen in Stein gefassten Erinnerungen an Lüneburger Medizingeschichte, es bleibt noch die Psychiatrische Klinik. Es bleibt zu hoffen, dass Stadt und Gesundheitsholding die Anlage in ihrer Anmutung erhalten. Die Heil- und Pflegeanstalt wurde 1901 eröffnet, also ein Jahr nach dem Krankenhaus. Dort leistet die Klinik heute Vorbildliches zur eigenen Geschichte und den mörderischen Verstrickungen während des Nationalsozialismus.

Spannend wäre es, ein weiteres Kapitel aufzuschlagen, nämlich wie man über Jahrhunderte mit Kranken umging. So richtete man beispielsweise 1787 in einer ehemaligen Kattunfabrik am Wandrahm ein kleines Spital ein für Menschen, die an "ekelhaften Krankheiten" litten. Im Juli 1800 beklagte Armenarzt Fischer, den "Aufenthalt von Federvieh in der 2. Etage, blödsinnige und total verschmutzte Insassen und den unnützen Krankenwärter". So beschreibt es Marianne Pagel in ihrer Sozialgeschichte Lüneburgs "Gesund heit und Hygiene", ein detailgespicktes Werk zur lokalen Sozialgeschichte.

Zur Geschichte des Krankenhauses:
Das Krankenhaus wurde 1899 bis 1900 vom damaligen Stadtbaumeister Lüneburgs, Richard Kampf, erbaut. Kampf war ein Schüler Conrad Wilhelm Hases und errichtete zu seiner Zeit einige Bauten, die das Lüneburger Stadtbild bis heute prägen. Gemeinsam mit Franz Krüger war Kampf am Bau des Wasserturms beteiligt, die Schule im Grimm trägt seine Handschrift, ebenso der Bau des Turms der Nicolaikirche, das Hospitak Zum Graal an der Feldstraße und die benachbarte Wilhelm-Raabe-Schule sowie der Anbau für das Stadtarchiv am Rathaus, um nur einige Beispiele zu nennen.

Verena Ummenhofer notiert zum Krankenhaus: "Auch das städtische Krankenhaus weist noch qualitative Elemente der Architekturauffassung Kampfs auf. Zu nennen wäre hier die nach Norden orientierte Hauptfassade mit historistischen Zierelementen, sowie das Treppenhaus, in dem sich Teile der Gestaltung in glasierten Formsteinen und Fliesen, das in Rankenornamentik ausgeführt Eisengeländer und ein großes, bleiverglastes Oberlicht erhalten haben. Hervorzuheben ist auch die Giebelseite des erhaltenen Flügelbaus, deren beide Obergeschosse vollständig in sprossengeteiltes Glas aufgelöst sind. Hier befanden sich die Operationsräume, denen auf diese Weise das benötigte Licht zugeführt wurde." Carlo Eggeling

Die Bilder zeigen das Treppenhaus des Altbaus und geben einen Eindruck von der heutigen Situation. Die historischen Aufnahmen stellt freundlicherweise das Stadtarchiv zur Verfügung. Sie entstanden um 1900, 1916, 1935 und 1940.

© Fotos: ca / Stadtarchiv


Kommentare Kommentare


Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.



Kommentar posten Kommentar posten

Ihr Name*:

Ihre E-Mailadresse*:
Bleibt geheim und wird nicht angezeigt

Ihr Kommentar:



Lüneburg Aktuell auf Facebook