Lüneburg, am Mittwoch den 30.10.2024

Der Liebesflug

von Carlo Eggeling am 17.05.2023


Lüneburger Gesichter (48)

In einer lockeren Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor

Der Schwärmer

Stefan Brand schwärmt für Libellen. Er hat ihr Leben am Kalkberg begleitet. Jetzt zeigt er seine Dokumentation in einer Ausstellung



Blaugrüne Mosaik-Jungfer, große Königslibelle, Hufeisen-Azur-Jungfer -- Namen wie Bilder, Namen für Majestäten, die filigran und anmutig durch die Gräser am Grund des Kalkbergs streifen, in der Luft stehen, in der Sonne leuchten in ihrer Pracht. Stefan Brand hat sie eingefangen mit seiner Canon-Kamera. Bilder, die an Gemälde erinnern. Für sie wird der Gipsofen am Kalkberg zu einer Kunsthalle, die Umweltorganisation BUND quasi zum Galeristen. Am Sonnabend, 20. Mai, eröffnet die Schau, zu sehen ist sie bis zum 6. Juni.

Am Dienstagnachmittag haben Brand und BUND-Mitstreiter im uralten Bau, in dem vor Jahrhunderten Gips zu Kalk gebrannt wurde, Fotos auf. Brand geht immer wieder am Kalkberg los, um die Insekten zu beobachten. "Als früheste Libelle kann man im April meistens die Adonis-Libelle finden", sagt der Biologielehrer, der in Winsen unterrichtet. Die Larve schlüpfe im Herbst aus dem Ei, erzählt der 61-Jährige. Die Larven entwickeln sich im Wasser, den Winter verbringen sie dort, im Frühjahr kriechen sie an den Gräsern am Ufer aus einem Tümpel. Adonis, es klingt schön männlich. Und um beim Männlichen zu bleiben: Die Herren leuchten in einem Ferrarirot. Sagt Stefan Brand.



Die Libellen seien ein überschaubares Forschungsgebiet: Es gebe tausende Käfer-, hunderte Schmetterlingsarten, bei den Libellen komme man in Deutschland auf rund 80. Eine Menge davon finden sich am Kalkberg, weil sie sich dort wohlfühlen. Das hat Gründe, für die man ein bisschen ausholen kann.



Das Areal zwischen Michaelis, Schnellenberger Weg und Sülzwiesen ist seit 1932 das älteste in einer Stadt liegende Naturschutzgebiet Deutschlands. Der Berg war, je nach Schätzung, einst bis zu 16mal so groß wie heute, bis ins Mittelalter Sitz der Burg des Landesherrn. Später wurde er zum Steinbruch. Aus dem Gips und seinen Spielarten stellten die alten Lüneburger unter anderem Gipsmörtel her. Im 19. Jahrhundert mussten Sträflinge aus dem nahen Zuchthaus, heute die Herberge, das Gestein abbauen -- der Hügel glich irgendwann einem hohlen Zahn.



So entstand ein Kessel, in dem die Wärme gut steht -- Sonne gespeichert im steilen porösen Gestein. Ein mediteranes Klima. Dazu feuchte Wiesen am Boden, nachdem der Grund aufgebrochen ist und Grundwasser und Sole aufsteigen. Ideal für Pflanzen und Tiere, die sonst an vielen anderen Stellen als vom Aussterben bedroht gelten. Ein Paradies auch für Libellen.



Seit November 2021 pirscht Stefan Brand durch das Gelände. Liegt für seine Bilder mit Kamera und Teleobjektiv auf dem Bauch. Der Lehrer erzählt begeistert von der Gemeinschaft im Biotop: "Die blaugrüne Mosaikjungfer kennt man aus dem Garten. Die große Königslibelle ist ganz selten und gehört hier eigentlich nicht her. Ähnlich verhält es sich bei der Torf-Mosaikjunfer, es ist gar nicht ihr Lebensraum. Dazu gibt es vier Arten der Heideliebellen."

Jetzt wird's intim: "Bei der Hufeisen-Azurjungfer kann man die Fortpflanziung gut beobachten. Das Männchen ergreift das Weibchen am Kopf, füllt an seinem Leib eine kleine Tasche mit Samen. Sie schlägt dann ihren Leib nach vorne für die Vereinigung. Wie ein Rad oder ein Herz sind sie dann verschlungen -- im Flug." Es gehe zu einem Gewässer, Eiablage. Bis zum Letzten fest verbunden -- er lässt sie nicht los, damit kein Konkurrent eine Chance bei der Dame erhält.



"Es sind farbenfrohe Wesen", beginnt Brand seine Hommage an die wenige Zentimeter großen Tiere, die einen schlechten Leumund besaßen als Augenstecher und Teufelsstachel. Einen Pikser haben sie gar nicht. "Aus unansehnlichen Larven werden schöne Geschöpfe, wenn sie schlüpfen, sind die Flügel schnell ausgetrocknet. Dann steigen sie auf." Elegante Flieger, die in der Luft stehen können, einige sind gar in der Lage, rückwärts zu fliegen. Ein paar Wochen leben sie, bis sie sterben.

Sie sind schnelle Jäger, sausen durch die Luft, bilden aus ihren sechs behaarten Beine eine Art Reuse, in der sie beispielsweise Schmetterlinge fangen. Sie beißen die Flügel der Beute ab, Absturz. Am Boden fressen sie die Insekten auf. Klingt hart, klingt nach Natur. "Ich habe an einem Teich gelegen, um die Tiere zu fotografieren", erzählt Brand. Doch aus dem Bild wurde nichts: "Plötzlich kam ein Frosch gesprungen und hat die Libelle gefressen." Natur eben.

Die Ausstellung vom 20. Mai bis zum 6. Juni jeweils freitags bis sonntags von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Sie findet statt im Rahmen des BUND-Projekts "Mein Kalkberg -- Ausstellungen von allen für alle". Wer mehr erfahren möchte, wendet sich an Sibylle Wickbold, Beim Kalkberg 7, Telefon: 04131-683936. Carlo Eggeling

© Fotos: Brand / ca


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