Lüneburg, am Dienstag den 22.10.2024

Der kluge Kopf

von Carlo Eggeling am 20.10.2024


Meine Woche
Strategische Baustelle

Nicht nur die Avacon hat bei der Baustelle an der Roten Straße lange aufs Schlummern gesetzt, Politik und Verwaltungsspitze haben's ihr gleichgetan. Alles nötig, geht nicht anders, Busse können mal so gar nicht auf den Sand. Für Malade rollt ein Taxi. Immer diese Meckerei. Na ja, hat nicht so hingehauen. Nach der zweiten Baustellenverlängerung gilt das Prinzip Hoffnung, man werde Ende November vor der Weihnachtsmarktzeit fertig. Ganz bestimmt.

So viel Murks besitzt politisches Potential. Einer hat das bestens erkannt und zeigt, wie strategisch er denkt: Patrick Pietruck, Chef Internet-Firma Webnetz und Vorsitzender der CDU-Gruppierung Mittelstandsunion. Pietruck treibt seine kuschelige Rats-CDU vor sich her, andere Parteien bekommen auch das Laufen. Der Unternehmer erklärt, wie katastrophal sich die Dauerbaustelle für den Handel auswirkt und fordert, wohl wissend, dass die Avacon sich nicht darauf einlassen wird, Bares für Geschäftsleute. Schlauerweise bezieht er dabei die Konkurrenz mit ein: Alt-Oberbürgermeister Ulrich Mädge von der SPD. Der hatte im Frühsommer als Vertreter des Seniorenbeirats auf drohende Kalamitäten hingewiesen, vor ein paar Tagen legte er bei meinem Kollegen Ulf Stüwe bei LGheute nach. Und freut sich nun, Pietruck an seiner Seite zu haben. Selbstverständlich durchschaut der Strippenzieher das Kalkül.

Mädges Sozialdemokraten grummeln zwar ab und an, schließen sich nun den Forderungen an. Doch der Mann, der längst Politik hätte machen können, Bauauschussvorsitzender Jens-Peter Schultz, gibt sich zwar gern etwas kantig, doch eigentlich findet er Konflikt total gemein, ein verständnisvoller Mann. SPD als Opposition? Was soll das?

Gleiches gilt für Wolfgang Goralczyk, den CDU-Fraktionschef im Rat. Pietrucks Vorstoß als MIT-Vorsitzender, dazu mutmaßlich ein paar Telefonate, scheinen dafür gesorgt zu haben, dass der Paddel-Freund sich in die Riemen legt. Goralczyk hatte staunenden Beobachtern der Ratspolitik erklärt, in Lüneburg sitze man in einem Boot und rudere gemeinsam. Nun ja, Regatta scheint er vergessen zu haben, da rudern mehrere Teams gegeneinander. Könnte eine Idee für eine Nicht-Regierungspartei sein, die beim nächsten Mal durchaus gewinnen möchte.

Pietruck und die Landtagsabgeordnete Anna Bauseneick wirken im Hintergund. Sie haben mit der MIT Stimmung gemacht, um Marco Schulze als Kandiaten für ein CDU-Bundestagsmandat durchzusetzen. Mit Erfolg, drei andere Herren hatten gar keine Chance, darunter Eckhard Pols, der drei Perioden im Bundestag saß, bevor er vor drei Jahren gegen den jungen SPD-Mann Jakob Blankenburg verlor. Gegen die junge Anna Bauseneick unterlag er, als er sich um eine Landtagskandidatur bewarb.

Pietruck und Bauseneick, die man ab und an abends in der Stadt an der Rackerstraße trifft, verstehen es, bei einem Wein und einem Cuba Libre andere tonangebende Christdemokraten für sich einzunehmen. Salute; die CDU dürfte sich wandeln.

Bei den Sozialdemokraten hingegen hat es Jakob Blankenburg schwer. Mit einer Ratsfraktion, die sich, gelinde gesagt, nicht einig scheint, mit Akteuren, die glauben, Schwergewichte zu sein und den parteilosen unterlegenen, aber durchaus wieder interessierten OB-Kandidaten Heiko Meyer ins Herz geschlossen haben und das zelebrieren.

Blankenburg ist fleißig, verankert sich bestens in der SPD und ihren befreundeten Organisationen, er setzt auf Strategieveranstaltungen und Stände auf den Straßen auch außerhalb des Wahlkampfs, doch an einem Team, mit dem er ein paar müde Genossen zur Seite schieben kann, muss er noch arbeiten.

Die Liberalen verfolgen im Stadtrat zwei Ansätze, wohltemperierte wenig folgenreiche Formulierungen Frank Soldans und den hemdsärmeligen Klartexter Cornelius Grimm, der es verstanden hat, mit Videos bei Instagram und Facebook Jüngere anzusprechen und Themen zu setzen.

An diesen Köpfen läge es, ein Bündnis zu schmieden, um gegen die starken Grünen Konturen zu gewinnen. Die haben in der Stadt mit einer Nachhaltigkeits-Uni und des daran hängenden Bionade-Establishments ein solides Fundament, welches selbst der sprunghafte wuschelige Wirtschaftsminister Robert Habeck nicht ernsthaft erschüttert. Zudem schafft es die Oberbürgermeisterin lächelnd, freundlich daherzukommen; Vorwürfe angesichts eher mäßiger Verwaltungsarbeit perlen ab und werden von ihrer Fraktion unter Ulrich Blanck im Rat zerbröselt. Ihre Freunde aus dem Wahlkampf wie Rad- und Klimaentscheid fragen nicht wirklich nach, wann es denn mal losgeht mit Mobilitätswende und Klimapolitik. Es gibt nun wirklich so viele Altlasten Mädges und Co. Und immerhin radeln sie ab und an auf der Ostumgehung.

Abzuwarten bleibt zudem, wer bei der nächsten Kommunalwahl antritt. Längst ist zu hören, man könne eine Bürgerliste aufstellen mit ehemaligen Köpfen der Politik, unabhängig von alten Parteigrenzen -- weil sie von ihren alten Parteien und deren Umgang mit ihnen enttäuscht sind.

Ach ja, die Rote Straße. Ob Verwaltung und Politik die Avacon zur Verantwortung ziehen? Strom, Wasser, Gas, Fernwärme -- Leitungen des Unternehmens. Das behauptet, von der Komplexität überrascht worden zu sein? Aha, nie einen Plan gemacht bei vergangenen Buddeleien?

Ganz viel Mitgefühl müssen deshalb alle mit Thomas Meyer zeigen. Der Geschäftsführer der Avacon Wasser und Generalbevollmächtige der Avacon im Bereich Energie hat schon bei der Heizabrechnungsmisere in Kaltenmoor zerknirscht gewirkt. Das sei misslich, aber der Konzern sei sehr bemüht. Die Frage, warum die Avacon, ich meine, 15, 16 Cent pro Kilowattstunde mehr nimmt, als andere Anbieter, ließ er im Rat unbeantwortet.

Jetzt gibt er sich bei den völlig unerwarteten Schwierigkeiten erneut betroffen. Betroffen passt gut in die Zeit. Für Entschädigungen des ächzenden Handels sehe er "keine Rechtsgrundlage", sagte Meyer. Der Konzern habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Was meint das, ein bisschen fahrlässig schon?

Klingt nach einigem politischen Kapital. Im Hintergund dürfte ein strategischer Kopf das erkannt haben. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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