Lüneburg, am Sonntag den 08.09.2024

Der alltägliche Klau

von Carlo Eggeling am 26.07.2024


Der mutmaßliche Ladendieb kam zurück -- mit seiner Mutter, man möge die Anzeige zurücknehmen. Der Auftritt sei massiv gewesen. Die Polizei habe nicht helfen können oder wollen, erzählt Jehan Winterseel. Der Filialleiter des Rauch-Ladens an der Lünertorstraße kann reihenweise Geschichten aus der Kategorie Klauen erzählen. Mutti und ihr Junge: Der Mittdreißiger hatte vor Monaten zugegriffen, alles dokumentiert über die Video-Technik des Geschäfts. "Ich habe den jetzt An der Münze wiedergesehen und die Polizei gerufen", sagt Winterseel. Die Beamten kamen, nahmen alles auf: "Am Nachmittag war der Typ dann wieder da."

E sei kein Einzelfall, sagt der Kaufmann. Neulich habe ein mutmaßlich Drogenabhängiger einen Lautsprecher gestohlen, sei geflüchtet. Als die alarmierte Polizei den Verdächtigen kurz darauf um die Ecke stellte, war die Box bereits verschwunden. Die Beamten nahmen den Mann mit: "Kurz darauf war er wieder da."

Polizeisprecher Kai Richter kennt diese Geschichten. Der Mann mit dem Lautsprecher taucht stets und ständig im Polizeibericht auf. Der 43-Jährige plündert in Geschäften. Alle naselang bilanziert der Polizeibericht, dass Täter in den Märkten und Parfümerien an der Grapen- und Bäckerstraße zugreifen. Teure Düfte sind beliebt, weil gut bei Hehlern abzusetzen.

Richter verweist auf das, was die Staatsanwaltschaft kürzlich gegenüber LA erklärt hatte: Ladendiebstahl sei rechtlich so eingeordnet, dass es im einfachen Fall nicht für einen Haftbefehl reiche. Selbst nicht bei zig Wiederholungen. Polizei und Staatsanwaltschaft waren vor rund zweieinhalb Monaten einen Umweg gegangen: Ibrahim S. soll für weit mehr als 100 Taten verantwortlich sein. Für den Knast hatte es nicht gereicht.

Trotzdem laufen die Fälle auf. Anfang Mai sollten mehrere Taten verhandelt werden. Erwartungsgemäß erschien der 24-Jährige nicht zum Prozess. Doch Amtsrichter Wolfgang Pfleger zog eine Art Zwischenbilanz: Um verhandeln zu können, erließ er einen Untersuchungshaftbefehl -- ein, zwei Tage später nahm die Polizei den Mann fest. Gefängnis bis zum Prozess.

Winterseel ist nicht allein. Mitarbeiterinnen aus den immer wieder betroffenen Geschäften berichten von Junkies, die klauen, von organisierten Gruppen, die zugreifen. Auch allen Ecken der Stadt ist zu hören, dass zumindest gefühlt mehr gestohlen wird. Das belegt die Statistik. Als die Polizei die Kriminalstatistik 2023 im Frühjahr vorstellte, bilanzierte sie, dass sich die Zahl im Vergleich zu 2022 mit mehr als 1100 Delikten in Stadt und Kreis nahezu verdoppelt habe.

Dass die Taten bemerkt werden, habe etwa mit besseren Sicherheitsmaßnahmen, mehr Ladendetektiven und einer höheren Bereitschaft, Delikte anzuzeigen, zu tun. Dazu kommt: In Corona-Zeiten waren Läden geschlossen, das ist nun anders. Wie Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens sehen die lokalen Polizeichefs auch soziale Gründe: steigende Preise. Das machen die Ermittler auch daran fest, dass sie weniger reisende Tatverdächtige dingfest machen, viele stammen aus der Region. Dazu kommt Beschaffungskriminalität: Kosmetika und Parfüm gelten unter Süchtigen als zweite Währung.

Doch auch die Ersatz-Qualmerei scheint äußerst lukrativ, Jehan Winterseel sagt, dass er und seine Kolleginnen zwar einige Täter stellen könnten, aber eben nicht alle: "Wenn wir Inventur machen, werleben wir Momente des Grauens."
Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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