Lüneburg, am Donnerstag den 24.04.2025

Den Partner Friedrich Merz mögen die Sozis nicht

von Carlo Eggeling am 16.04.2025



Das Misstrauen ist greifbar: Dem mutmaßlich nächsten Kanzler Friedrich Merz und seinen Parteifreunden wie Jens Spahn und Carsten Linnemann trauen viele der rund 70 Sozialdemokraten aus drei Landkreisen im Saal nicht über den Weg. Er fühle sich als Sozialdemokrat durch den rüden Ton beleidigt, sagt etwa Achim Gründel aus Radbruch. Dem Koalitionsvertrag werde er trotzdem zustimmen, aus staatspolitischer Verantwortung. Denn gehe die SPD keine Verbindung mit der CDU ein, was drohe dann? Die SPD müsse in den kommenden vier Jahren ihr Profil herausarbeiten -- ein Kampf gegen die AfD und den Ruck nach rechts.

Die Lüneburger SPD hatte am Montagabend eingeladen in den Kunstsaal im Lünepark. Der Bundestagsabgeordnete Jakob Blankenburg stellte den Koalitionsvertrag vor und warb für Zustimmung. Denn während sich die CDU mit einem Parteitag begnügt, lässt die SPD ihre Mitglieder darüber abstimmen. Mindestens zwanzig Prozent müssen mitmachen, die Mehrheit muss Ja sagen, sonst platzt das geplante Bündnis.

Friedrich Merz wirkt hier als Gegner, nicht als künftiger Partner. Dass er beispielsweise den ausgehandelten Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde infrage stellt, erbost hier viele. Dass Jens Spahn und andere einen anderen, offeneren Umgang mit der AfD für sinnvoll halten, wirkt für einige wie ein Angebot zur Zusammenarbeit. Unvergessen ist, dass Merz bei seinen Vorschlägen zur Migrationspolitik im Bundestag auf Stimmen der in weiten Teilen als rechtsextrem geltenden Partei setzte. Das Wort "unanständig" fällt.

Melbecks Bürgermeister Christoph Kleineberg fragte: "Wie stellen wir sicher, dass uns Merz nicht übers Ohr haut?" Und zur staatspolitischen Verantwortung: Wie weit solle die gehen, wo bleibe der Anspruch der SPD? "Wie viel können wir noch verlieren, wann ist Schluss?" Am Ende könne die Partei mangels Masse gar keine Verantwortung mehr übernehmen.

Blankenburg, der in Berlin mitverhandelte, mahnte zum Schulterschluss: Er sei mit einigem nicht glücklich, was im Vertrag stehe, aber er stehe dazu. "Wir dürfen nicht nach draußen gehen und sagen, wir machen das nur aus staatspolitischer Verantwortung.“ Die Argumention müsse lauten: "Wir machen es, weil wir Dinge umsetzen können."

Der stets optimistische Heiko Dörbaum, lange Jahre Fraktionschef im Rat und Ortsvorsteher am Ebensberg, gab die Hoffnung vor: "Wir werden wieder Vertrauen bei der Bevölkerung gewinnen." Auch er kritisierte Merz, daher sei es wichtig zu zeigen, "warum wir das trotzdem wollen", aus Verantwortung. Die SPD-Minister müssten klarmachen, wofür die SPD in der Regierung stehe.

Wenn das Ergebnis eher mager ausfiel, ist der Anspruch groß: 16,4 Prozent der Stimmen holten die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl, doch bei den Koalitionsverhandlungen stellen sie hohe Forderungen, besetzen nach derzeitigem Stand sieben Ministerien in der neuen Regierung.

Zum Vergleich in den glorreichen Willy-Brandt-Jahren erzielte die SPD 1972 mit 41 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl ein sensationelles Ergebnis, die Mitgliederzahl lag bei 950 000, heute sind es 358 000, auch wenn im Saal ein paarmal von 400 000 die Rede war.

Mehreren Genossen fehlte die soziale Komponente, ein Juso beklagte, die Interessen der "Arbeiter" würden nicht berücksichtigt, Steuerentlastung fielen zu gering aus, die wöchentliche Arbeitszeit solle verlängert werden. Jakob Blankenburg hielt dagegen, die Gewerkschaften seien in die Verhandlungen eingebunden: "Sie halten den Koalitionsvertrag für zustimmungsfähig."

Harte Kritik kam – wie gewohnt – von Alt-OB Ulrich Mädge, der seine Partei für zu wenig schlagkräftig hält und an ihre Wurzeln erinnert: soziale Verantwortung. Die SPD habe Hunderttausende Arbeitnehmer an die AfD verloren, die Senioren -- sie halten der SPD die Stange, das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 61 Jahren -- seien zu wenig im Blick: "Viele Frauen stellen fest, wenn sie in Rente gehen, liegen sie unter der Armutsgrenze." Wer ins Heim ziehe, müsse im Durchschnitt 3000 Euro im Monat dazubezahlen -- wer könne das?

Das Wort fiel nicht, aber es klang trotzdem mit: Versagen. Mädge machte keinen Hehl daraus, dass drei gehandelte Minister nicht in die erste Reihe gehörten, darunter Parteichef Lars Klingbeil, der für den Absturz der Partei verantwortlich sei. Man hätte sich viel früher von Kanzler Olaf Scholz absetzen müssen. Applaus, aber kein dicker.

Es schwang viel Hoffnung bei den Sozis mit. Werde Klingbeil Finanzminister, habe er die Hand auf der Kasse, könne entscheiden, wohin Geld fließe, so sozialdemokratische Akzente setzen. Sein Vorvorgänger Lindner von der FDP lässt grüßen.

Doch wie realistisch ist das? Der Koalitionsvertrag gibt Regeln vor, ein Kanzler und die anderen Koalitionäre dürften sich kaum ständig SPD-Mann Klingbeil unterordnen.

Noch einmal die staatspolitische Verantwortung. Ein Genosse zog den Vergleich zu den Kriegsanleihen, denen die SPD zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 im Reichstag zustimmte. Damals wollten Abgeordnete angesichts des nationalen Taumels der deutschen Überheblichkeit nicht wieder als "vaterlandslose Gesellen" angeprangert werden. Zudem wollten sie dem zaristischen, rückständigen Russland die Stirn bieten.

Es sei ein gewagter Vergleich, hält der Landtagsabgeordnete Philipp Meyn dem entgegen, es gehe nicht um Krieg, sondern um die Zukunft des Landes.

Trotzdem lohnt die Rückschau auf die Jahre zwischen 1914 und 1918, denn in den Schützengräben findet die Kriegsbegeisterung damals bald ein blutiges Ende. Nachzulesen übrigens auf der Internet-Seite der SPD: "1915 wenden sich mehrere Abgeordnete in ihrem Manifest "Das Gebot der Stunde" gegen die Annexionspolitik der Regierung und gegen die weitere Billigung der Kriegskredite. Dazu gehören Karl Kautsky, Eduard Bernstein und Hugo Haase, der seit 1913 gemeinsam mit Friedrich Ebert der Partei und mit Philipp Scheidemann der Reichstagsfraktion vorsteht. Die SPD zerbricht einstweilen über ihrer uneinheitliche Haltung zum Krieg. 1917 spaltet sich die USPD (Unabhängige-SPD) von der MSPD (Mehrheits-SPD) ab, Hugo Haase übernimmt deren Vorsitz."

Die Mehrheit der Partei dürfte jetzt dem Koalitionsvertrag zustimmen, doch die Jusos sind dagegen, sie sind nicht allein. Stichwort Soziales, Stichwort Zuwanderung. Es kann eine Zerreißprobe werden. Wofür steht die SPD? Und: Was passiert mit dem Land, wenn die kommende Regierung kein Vertrauen schafft? Neuwahlen? Wer profitiert dann? Was bleibt von der SPD noch übrig? Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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