Altstadtimpressionen
von Carlo Eggeling am 23.02.2023Lüneburger Gesichter (43)
In einer lockeren Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor
Was häßlich schön werden kann
Magdalena Deutschmann engagiert sich für den ALA. Bei Quartiersabenden zeigt sie, sich Straßenzüge veränderten. Bürgerinitiative im besten Sinne
Magdalena Deutschmann kennt natürlich den Abrisskalender des Arbeitskreises Lüneburger Altstadt. Vor allem Adolf Brebbermann, lange verstorben, hatte zwischen 1979 und 1993 als Chronist mit spitzer Feder Häuser gezeichnet, die dem Abrissbagger zum Opfer fielen. Der Kalender war jedes Mal ein Brandbrief gegen die Ignoranz der Verwaltung, gegen Investoren, die den Wert der Zeugnisse Lüneburger Geschichte nicht erkannten. Doch die Lüneburgerin findet, dass der ALA und die Bürger etwas optimistischer zurückblicken dürfen. Denn es wurden nicht nur Jahrhunderte Baukultur geschleift, sondern viele erkannten gerade durch den ALA, was für Schätze die "Bruchbuden" eigentlich waren und sind -- sie polierten sie zu Kostbarkeiten auf.
Die 69-Jährige zeigt den Wandel: Zweimal hat sie Anwohner aus der Altstadt eingeladen -- es kamen viele, die genau diesen Wandel gelebt haben, sie arbeiteten aus ihren Häusern deren altes Antlitz heraus: "Viele der Hausbesitzer waren erfreut, dass sich jemand für sie interessiert."
Magdalena Deutschmann, die sich im ALA engagiert, wertet einen Fundus aus. "Wir haben hier Kästen mit alten Dias des verstorbenen Jörn Adolphi, er hat zwischen 1975 und 1985 die Innenstadt fotografiert." Die Bilder zeigen Häuser mit verhunzten Fassaden, umgebauten Giebel, Schrammen und Scharten. Es kamen Menschen, die diese Wunden heilten, die unter der Häßlichkeit Anmut und Schönheit fanden.
Mit Fotos von einst und heute dokumentiert die ehemalige Mitarbeiterin der Gewerkschaft verdi diesen Prozess. "Der ALA, der im nächsten Jahr 50 Jahre alt wird, hatte Listen von Häusern, die zum Abriss freigegeben waren. Es gab ja Pläne, die Altstadt in einen Parkplatz und Grünanlagen umzuwandeln. ALA-Vorsitzender Curt Pomp und andere sagten: Kauft die Häuser, um sie zu retten." Eine Bürgerinitiative im besten Sinne, ein Investition, von deren Zinsen Lüneburg bis heute zehrt und profitiert: "Die Rote-Rosen-Kulisse wäre sonst nicht möglich."
Der ALA, seine Mitglieder und Verbündeten hatten aber nicht nur das Viertel rund um Michaelis im Blick, sondern die gesamte Innenstadt. Auch im Wasserviertel beispielsweise hielten Sanierung und Restaurierung Einzug. Damit einher ging ein anderes Bewusstsein. Natürlich gab es Niederlagen, wenn oftmals fast nur Fassaden übrig blieben und damit ein schöner Schein.
Doch die Bauverwaltung verstand, welche Schätze Lüneburg besitzt, dass es eben auch auf Details ankommt wie Fenster, Beschläge, Treppen, wenn man so will, auf die inneren Werte eines Gebäudes. Das verstanden auch die, die Häuser kauften und herrichteten. Gleichwohl zog auch die Moderne mit ein, Badezimmer und Toiletten möchte wohl niemand mehr haben wie vor Jahrhunderten.
Magdalena Deutschmann zeigt ein Heft des ALA, die Reihe nennt sich Aufrisse. Curt Pomp und sein Restaurierungsbüro haben an vielen Stellen an Kapiteln dieser Baugeschichte mitgeschrieben. Das Heft dokumentiert im Jahr 2012 Altes und das neu Geschaffene. Ein dutzendfacher Gewinn. Magdalena Deutschman strahlt, wenn sie die Broschüre zeigt. Sie ist in Lüneburg geboren, lebte Jahrzehnte in der westlichen Altstadt und im Wasserviertel. „Sehnsuchtsorte" für sie, klar, im Sommer abends gern an der Ilmenau zu sitzen Hat etwas mit dem Gefühl zu tun.
Allerdings hat sie auch die andere Seite der Schönheitskur erlebt: "Eigenbedarfskündigungen." Sie musste ihre Wohnungen verlassen, eine neue "mittendrin" ist kaum zu bekommen. Die Gassen zwischen Neuer Sülze und Kalkberg, aber auch die Straßen zwichen Nicolai und Altem Kran zeigen ein anderes Gesicht: Viele kleine Läden sind verschwunden, viele der alten Bewohner sind neuen Anwohnern gewichen. Das ändert das Leben in den Quartieren.
Alles spannende Themen für Magdalena Deutschmann. Deshalb plant sie bereits die nächsten Quartiersabende, selbstverständlich mit denen, die dort wohnen. Die Rentnerin hat noch mehr zu tun: Sie kümmert sich um Gärten und Streuobstwiesen. Aber das wäre eine andere Geschichte.
Die Bilder zeigen Magdalena Deutschmann und Auszüge aus dem ALA-Heft von 2012.
Kommentare
am 23.02.2023 um 12:58:51 Uhr