Abschied von einem Ewigen — Pit mach‘s gut
von Carlo Eggeling am 11.04.2025Gestern haben wir Pit zu Grabe getragen. Es war ein Treffen der Verwitterten, eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit als wir den Stintmarkt legendär fanden. Weil wir jung waren. Die 80er und 90er Jahre vor allem. Wie für Pit war das Schallander, das alle Schalli nannten, das zweite Zuhause. KöPi und Cuba Libre waren die Getränke. Dazu wie bei der Trauerfeier am Waldfriedhof Jackson Browne "Just stay al little longer". Heute ist Rente ein Thema, Gesundheit, damals waren die Nächte lang, ausgelassen, grenzenlos, berauschend. Einige sind inzwischen gegangen. Nun also Pit, der eigentlich Volker Peters hieß und 71 Jahre alt wurde.
Pit war eigentlich schon immer da. Zehn Jahre älter als ich. Schmächtig, Locken, Bart, Zigarette. Er saß oft am Eingang zur Schalli-Küche, in der es Croque Monsieur, Knobi-Brot und Nizza-Salat gab. Bier und später Cuba. Die Küche war winzig klein, lange verschwunden. Stammgäste, Striche auf kleinen Blöcken, wer was getrunken hatte. Wir waren links, dagegen und überhaupt.
Pit hatte Mathe studiert, irgendwie nicht zu Ende, aber er machte ewig weiter, arbeitete in Hamburg, war Experte für Datenbanken. Er sammelte Filme. Inzwischen sollen es Abertausende sein, natürlich katalogisiert, die ans Deutsche Filmarchiv gehen sollen. Eine von vielen Geschichten.
Es war wohl 1984, da sind wir nach Prag gefahren. Goldene Stadt an der Moldau. Hinter dem Eisernen Vorhang, aber da die Tschechen Westgeld wollten, war es billig. Etwas für uns mit den leeren Taschen. Ich habe den Guttempler-Stammtisch Schallander angemeldet und war Reiseleiter. Drei, vier Tage. Bus. Endlose Fahrt durch die Nacht. Natürlich waren alle mehr oder weniger duhn. An der Grenze hat Ingolf seinen Seesack ausgekippt. "Scheiß Kontrolle." Selbst die Betongesichter der tschechisch-slowakischen Grenzer mussten lachen. Wir durften weiter.
Im Hotel Karussell fahren. Sessel in den Fahrstuhl, hoch und runter. In die Stadt. U-Bahn. Es galt absolutes Rauchverbot. Pit steckte sich trotzdem eine an. Polizisten in zivil kamen angesprungen, packten ihn, er verschwand hinter irgendeiner Tür. Kein Dagegenwummern half. Telefonzelle, ich habe die Deutsche Botschaft angerufen. Reiseleiter eben. Wir haben Pit schon im Gulag irgendwo in Sibirien gesehen. Warschauer Pakt, Sowjetunion und so.
Der Mann der Botschaft blieb ruhig: "Warten Sie ab, die lassen ihn wieder raus. Kostet 50 Mark. Haben wir öfter." So war's. Pit kam frei, blass, aber nicht gefoltert und um 50 Mark ärmer. Feier. Wir gingen in ein Nobel-Hotel. Abgerissen in unseren Jeans, Lederjacken und mit den langen Haaren. Hätten wir uns nie leisten können zu Hause, aber mit dem schwarz getauschte Geld waren wir Krösus. Zig Gänge. Sekt und Bier für Kellner und Köche. Die haben über uns gelacht, fanden uns wohl skurril, aber freundlich. Pit mit seiner Gefangennahme war ein bisschen ein Held.
Stint. Das waren Feste, zu denen Zehntausende kamen. Das Wasserviertel tanzte. Manni Vogt, Schalli-Wirt, war der Motor für einen Verein, der Kneipe und Kultur hieß. Alfred Heger als Moderator ein Admiral. Clowns und Helden haben gespielt, Stammgäste. Pit war immer dabei. Ein netter, freundlicher Kerl, mit dem man schnacken konnte. Nie laut, aber mit klarer Meinung. Ein Logiker, hieß es ein paarmal in der Trauerrede. Weiß ich nicht mehr, wir lagen ab und an über Kreuz.
Ramona wurde Teil von Pits Leben, natürlich lernten sie sich im Schalli kennen. Ein Tanz, annähernd, trennend, ganz eng. Zwei Wohnungen, hieß es in der Trauerrede, aber eigentlich ein Leben zusammen.
Der Stint änderte sich, einige gingen. Pit war einer von denen, die blieben. Schalli war lange ein Ort, an dem sich weiter Leute von damals trafen. Manni, Barney, Jürgen, der vermessene Christian, der ausrechnete, wie viele Meter über Null das Bier gezapft wird, Bodo, Pia, Anja, Holly, Theo und und und. Wer hat hier nicht alles gearbeitet, der heute Unternehmer, Geschäftsführer, Sozialarbeiter, Polizist und inzwischen Rentner ist.
In der Kapelle auf dem Waldfriedhof saßen 50, 60 Leute. Ramona und Pits Schwester Gaby mit der Familie. Tränen, da ist ein Guter gegangen. Reinhard Mey. Gute Nacht Freunde. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh'n. Pit hätte noch viel zu sagen gehabt.
Die Urne liegt nun im Boden, bestreut mit Rosenblättern. Klar, es ging danach ins Schalli. Das ist anders, doch vertraut. Eine Erinnerung. Uns gehörte damals doch die ganze Welt, die Herzen übervoll.
In der Kapelle lief Knocking an Heavens Door, die Bob-Dylan-Hyme, aber in der harten Version von Guns and Roses. Pit, Du hast angeklopft. Ich wünsche Dir einen guten Platz mit Blick auf den Stint, dazu Kippe, Köpi und Cuba Libre. Ramona und der Familie viel Kraft. Carlo Eggeling
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