Lüneburg, am Sonntag den 08.09.2024

Abschied von einem Denkmal — zum Tode von Curt Pomp

von Carlo Eggeling am 09.08.2023


Eigentlich sollte es an diesem 10. August ein Alles-Gute-zum-Geburtstag-Text werden, doch es ist ein Lebwohl: Curt Helm Pomp ist kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben. Friedlich, sagen die, die ihn kennen. Das Alter hatte den einst so agilen, kräftigen, schönen Mann gezeichnet. Er trat vor Jahren kürzer, doch seine Liebe zu Lüneburg blieb bis zum Schluss. Der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt, der ihn am Sonnabend feiern wollte, lädt trotzdem ein. Sicher in seinem Sinne -- denn es geht um das Antlitz der Salzstadt.

Als er 80 wurde, sollte es für Curt Pomp eigentlich großes Kino laufen: Feier im Fürstensaal des Rathauses. Das wollte er nicht, die Verwaltung sei für zu viele Bausünden verantwortlich. Für diese alte Stadt hat er gekämpft, weil er eine Vision hatte. Er sah unter zerschlissen Fassaden die jahrhundertealte Anmut, ein Gesamtkunstwerk, welches man retten musste. Es war ein Kampf, den er an der Seite von Gleichgesinnten führte gegen eine damals ignorante Verwaltung, gegen Profitinteressen von Unternehmern und Maklern; es wurde der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt daraus. Ein Name, sachlich, nüchtern, arbeitsam; eigenartig bei dieser Heißblütigkeit. Pomp war der Anführer, die Zeitung gab ihm einen Titel, den er selber zu groß fand: Retter der Lüneburger Altstadt. Gefeiert wurde der 80. übrigens im Salzmuseum, das er gefördert hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele Städte zerbombt waren, radelte der 1933 in Böhmen geborene Pomp durch Deutschland. Auch in Lüneburg machte er Station, war gefangen von der Anmut. Als er später in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste Gold- und Silberschmied sowie Grafik und Bildhauerei studierte, kam er oft zum Zeichnen an die Ilmenau. 1966 zog er in die Altstadt, die damals als Schandfleck galt. Es gab keine Kanalisation, durch den Salzabbau sackte der Boden, rissen Häuser, bekamen bedrohlich Schlagseite. Arme Leute hausten hier eng an eng. Er nannte das Karree "Nachtjackenviertel".

Wer sich für fortschrittlich hielt, das waren viele, gerade im Rathaus, versprach die angebliche Moderne. Aberwitzig erscheinende Pläne prägten das Stadtgespräch: die Altstadt abreißen, um Stellplätze für Autos anzulegen, aus dem Glockenhaus ein Parkhaus machen, unter den Markt eine Tiefgarage setzen. Pomp scharte Gleichgesinnte um sich. Den damaligen LZ-Chefredakteur Helmut Pless lobte er, gemeinsam sei es gelungen, rund 11 000 Unterschriften gegen den Bau der unterirdischen Parkplätze zu sammeln. „Danach war das Projekt politisch tot“, sagte Pomp. Doch der ALA, der nächstes Jahr seinen 50. Geburtstag feiern will, musste auch Rückschläge verkraften. Jahr für Jahr dokumentierte der „Abriss-Kalender“, den Adolf Brebbermann beeindruckend detailgetreu zeichnete, welche Häuser plattgemacht worden waren.

Pomp konnte sanft sein, aber auch sehr schroff. Hart kritisierte er Potemkinsche Dörfer: Fassaden blieben, dahinter entkernten Bauherren, nahmen Häusern ihr inneres Leben. Wo einst Erdgeschosse Halt gaben, entstanden glotzäugige Schaufenster, die das Darüber schweben lassen. Wir sind es so gewohnt, dass es kaum noch auffällt. Er hat mir das das lange erklärt bei einem Umbau. Er hatte Recht. Doch ein Aber muss folgen: Wer einen Laden betreibt, braucht Kunden, braucht Abläufe. Er besitzt ein Haus, dessen wurmzerfressene Balken nicht mehr tragen. Eine Verwaltung muss Lösungen finden, Kompromisse schließen. Der Zeitgeist hüpft: Was er gestern schön fand, mag er heute gar nicht mehr. Dann sehnt er sich plötzlich nach Altem zurück, das vertraut schien.

Einen der größten Kämpfe führte der ALA an der Grapengießerstraße, und verlor. In den 80er-Jahren hat dort ein Braunschweiger Investor ein Kaufhaus gebaut. Dafür fielen Häuser oder wurden ausgeschlachtet. Alle Kritik verhallte, Politik, Wirtschaft und auch die Baugewerkschaft waren sich einig, dass das Kaufhaus ein Gewinn für Lüneburg werden würde. Erst kam Dykhoff und ging pleite, Peek & Cloppenburg folgte, wanderte zum Markt, Leerstand, nun ein anderer Händler. Der Charme von einst ist kalter Sachlichkeit gewichen.

Pomp hat mitgerissen. Der ALA, 600 Mitglieder stark, hat den Alten Kran gerettet, als er umzukippen drohte. Straßenlaternen in der Stadt hat Pomp entworfen, Spenden halfen, unzählige Kostbarkeiten zu erhalten: Türen, Verzierungen, Deckenmalereien. Der Verein stand Pate für Ewer und Prahm, hat den Gipsofen am Kalkberg restauriert und ausgebaut, in dem der Naturschutzverband BUND informiert. Pomp und der ALA schufen über Jahrzehnte ein anderes Bewusstsein für den Wert der historischen Stadt.

Pomp hat im Amt Neuhaus mit der couragierten Karin Toben 2006 in Vockfey eine Pyramide aus Bauschutt gesetzt, die daran erinnert, dass die DDR ganze Dörfer wie Vockfey schleifte, um besser auf die schießen zu können, die das angebliche Paradies des falsch verstandenen Sozialismus über die Elbe verlassen wollten. Denkmalschutz und Erinnern können höchst politische Angelegenheiten sein. Pomp hat nach dem Mauerfall elbaufwärts in Werben begonnen, alte Häuser zu erhalten und Menschen dafür zu begeistern.

Allerdings verletzte der Restaurator einige. Grantig, harsch, rechthaberisch. Mancher kehrte dem ALA den Rücken, weil er sich überfahren und nicht geachtet fühlte in seinem Engagement. In den "Aufrissen", dem ALA-Blatt stehen viele Artikel, in den Heften des Vereins Stadtarchäologie versammeln sich wissenschaftliche Beiträge und Autoren, die nicht das beste Verhältnis zu Curt Pomp pflegten.

Zu einer Bilanz gehört, dass der ALA nicht mehr die Bedeutung besitzt wie einst. Er wird beispielsweise nicht gehört, wenn die Bauverwaltung Grüne Oasen aufbaut, und es gelingt ihm nicht, seine kritischen Anmerkungen in die Diskussion zu tragen. Es ist schwierig, neben einem Großen zu bestehen, der einen übergroßen Schatten wirft. Gleichwohl schieben Vorsitzende Inga Whiton und die Nachfolger der Gründer einiges an.

Zur Bilanz zählt ebenso, dass zwar viele ihre Häuser restauriert haben, das Viertel im Schatten von St. Michaelis darüber zur Puppenstube wurde: verschwunden sind die Arbeiter und kleinen Leute, die hier zu Hause waren, die vielen Läden und Kneipen wie das Katenshiet und Saucke. Das Derbe und Deftige wich dem Touristisch-Süßem. Vielleicht ging es nicht anders.

Es bleiben Alte Handwerkerstraße und Christmark als Kostümfeste, die immer wieder Abertausende anziehen, die Geld bringen für die Projekte, die der ALA unterstützt. Ein Segen. Es bleibt, dass Lüneburg auf diesen Verein nicht verzichten sollte. Es bleibt eine große Sammlung von Ziegel- und Formsteinen, die der ALA mithilfe einer Menschenkette von Pomps Haus an der Neuen Straße im Mai vergangenen Jahres in den Speicher Am Iflok schleppte und die künftig dort Baugeschichte dokumentieren. Am Sonnabend, 12. August, sind sie von 11 Uhr an im Fachwerkspeicher zu besichtigen -- die Geburtstagsfeier wandelt sich ein Erinnern an Pomp.

Curt und ich haben uns damals bei der Menschenkette getroffen. Er saß klein und zart auf einem Stuhl, sah zu, sagte, es sei eine "Befreiung", dass die Sammlung einen anderen Platz bekomme, im ALA-Haus.

Wir beide haben uns vier Jahrzehnte gekannt. In den 80ern habe ich mit Kollegen für die Stint-Kneipe Schallander Bierstände aufgebaut bei der Alten Handwerkerstraße. Curt wollte keine strombetriebenen Schank- und Kühlanlagen, die würden nicht in die Jahre zur Renaissance um 1500 passen, sagte er. Mit Mühe überzeugten wir ihn, die Zapf-Kisten mit Tüchern zu verhüllen, weil Menschen kein warmes Bier mögen und es zudem schlecht werden kann.

Dem Journalisten zeigte er später, welche Grazie und Eleganz hinter Verschalungen, Putz und Scheußlichkeiten schlummern. In seinen Zeichnungen und denen seiner Kollegen lag eine Vision dessen, was wieder sein kann. Hin- und mitreißend. Ich habe viel gelernt, die harten Worte, wenn ein Artikel nicht gefiel, nun ja. Gehörte dazu.

Zu Lebzeiten hat ihn die Stadt nicht zum Ehrenbürger gemacht. Verdient hätte er es, aber ob er den Titel angenommen hätte? „Herr schütze mich und die hier hausen vor Planern und Kulturbanausen", prangt seit 1991 an seinem selbst restaurierten Haus. Eine Haltung. 1988 bekam er übrigens das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Jetzt ist Curt gegangen, er hinterlässt seine Frau Claudia und seine Tochter im Teenageralter, von der er stolz erzählt hat. Mit ihm endet -- selbst wenn es abgedroschen klingt -- eine Ära. Andere machen weiter, anders. Curt, Du fehlst. Mach's gut. Du hast uns viel gegeben, was bleibt. Zumindest eine Zeitlang. Carlo Eggeling

Die Fotos (ca/Boldt) zeigen Curt Pomp mit der ALA-Stadtwache, bei seinem 80. und beim Transport der Steine.

© Fotos: HaJo Boldt/ ca


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